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Es war erstaunlich, was man alles bekommen konnte, wenn man nur bereit war, genügend dafür zu bezahlen. Noch am Vormittag hatte ich ein paar Handwerker angeheuert, die in Windeseile neue Tapeten und Teppichboden verlegten und gleich die Möbel abholten und aufstellten, die ich über das Internet in Seda Azul gekauft hatte. Und am frühen Nachmittag war ich damit beschäftig, meine Kleider in die neuen Schränke zu legen. "Oh Gott, Mutter, was ist den hier passiert", hörte ich Kinga aufkeuchen. Angelockt vom Geruch nach frischem Holz und Farbe ist sie mit Klaudia vom Schulbus gleich in mein Zimmer gekommen. "Guck mal Ki", rief Klaudia aufgeregt, als sie hinter ihrer Schwester das Zimmer betrat. "Eine neues Sofa und ein neuer Teppich und das Bett und alles ist neu!".


"Du konntest es wohl gar nicht erwarten, alle Dinge von Papa aus dem Haus zu schaffen!", fuhr Kinga mich plötzlich an. "Hättest du nicht wenigstens warten können, bis ihr beide wirklich geschieden seid? Oder gibt es da schon einen neuen Mann? Hast du dir hier etwa ein neues gemütliches Liebesnest für dich und ihn geschaffen?"


Zunächst war ich einfach nur geschockt. Ich hatte geglaubt, Kinga hätte es langsam überwunden, dass ich Dominik und sie belogen hatte. Ich erwartete nicht, dass sie mir einfach so verzieh, aber in den letzten Wochen schien es so, als ob sie ihren Zorn unter Kontrolle hätte. Und jetzt ging sie wieder auf mich los. Aber ich war ihre Mutter und ich musste mir so ein Verhalten von ihr nicht bieten lassen. "Ich wünsche nicht, dass du in diesem Ton mit mir sprichst, Kinga! Das hier ist mein Haus und ich muss mich nicht vor dir rechtfertigen." Kinga funkelte mich weiterhin wütend an, schrei dann frustriert auf und rannte aus dem Zimmer.


Klaudia saß auf dem neuen Sofa und beobachtete verunsichert, wie Kinga aus dem Zimmer stürmte. Ich setzte mich zu meinem Pummelchen und legte meinen Arm um sie und sie schmiegte sich umgehend an meine Seite. "Mami, hat Kinga die Wahrheit gesagt? Hast du etwa einen neuen Papa für uns?", fragte sie leise. Ich drückte sie noch fester an mich. "Nein, Pummelchen. Ich bin noch lange nicht so weit, dass ich einen neuen Mann in meinem Leben zulassen könnte. Also mach dir darum keine Sorgen". Klaudia wirkte gleich viel entspannter. "Ich finde dein neues Zimmer voll hübsch, Mami", sagte sie schließlich, woraufhin ich ihr einen dicken Schmatzer auf den Kopf aufdrückte.


Mein neues Zimmer gefiel mir. Und auch in meinem neuen Schlafleibchen fühlte ich mich wohl. Und trotzdem, wirklich glücklich konnte ich nicht sein. Dazu hätte die andere Seite meines Bettes nicht leer sein dürfen. Ich betrachtete die leere Betthälfte und vor meinem inneren Auge sah ich Dominik, der sich genüsslich in die Decken kuschelte und friedlich vor sich hin schlummerte. Aber solche Gedanken waren sinnlos. Ich musste endlich einsehen, dass ich nun alleine war und damit zurechtkommen musste.

 

 


Ich schlief anschließend erstaunlich gut. Manchmal tat eine äußerliche Veränderung wirklich gut, um auch eine innere Veränderung zulassen zu können. Doch Klaudia lag die halbe Nacht wach. Der Streit zwischen Kinga und mir hatte sie mehr mitgenommen, als es den Anschein hatte. Die Situation zwischen meiner Ältesten und mir war schon seit Wochen angespannt und immer wieder kam es zu solchen Ausbrüchen wie am gestrigen Abend und jedes mal gingen dieses Streitereien meinem Pummelchen sehr zu Herzen. "Giftzwerg, da hinten ist die Tür", wies Kinga ihre kleine Schwester schroff ab, als dieses nach der Schule zu ihr ins Zimmer kam. Klaudia war zwar sichtlich eingeschüchtert, aber sie kannte inzwischen auf die Launen ihrer großen Schwester und ließ sich deshalb nicht ohne weiteres verjagen.


"Ki, warum bist du ständig so oberfies? Mami versucht immer nett zu dir zu sine und du behandelst sie immer ganz furchtbar gemein. Das ist nicht nett von dir Ki!" Kinga sah ihre kleine Schwester verblüfft an, denn so hatte diese noch nie mit ihr gesprochen. "Wegen dir war Mami gestern voll traurig. Könnt ihr beiden euch nicht endlich wieder lieb haben? Mami hat sich doch bei dir entschuldigt und Papi wohnt doch gleich in der Nähe, wir können ihn also immer besuchen. Du kannst jetzt echt mal aufhören böse zu sein!"


Doch Klaudias Worte verfehlten bei Kinga offensichtlich ihre Wirkung. "Mutter hat dich ja voll um ihren Finger gewickelt. Bist du eigentlich so doof oder tust du nur so? Es ist überhaupt nichts gut und ich werde dieser Frau nicht verzeihen und wenn sie sich noch hundertmal bei mir entschuldigt. Sie hat mich die ganze Zeit angelogen! Für dich ist ja vielleicht alles in Ordnung, immerhin hast du noch einen Vater. Aber Papa ist nun mal nicht mein richtiger Vater und das ist alles nur Mutters Schuld. Und jetzt hau ab. Lauf zu deiner Mami und klammere dich an ihren Rockzipfel. Du warst ja eh immer ihr kleiner Liebling. Ihr beiden kotzt mich echt an."


"Du bist so gemein Ki" Klaudia wollte es nicht, aber ihre Stimme überschlug sich und die Tränen schossen ihr in die Augen. Kinga zeigte kein bisschen Reue und verwies ein weiteres Mal auf die Tür. "Da geht es raus, Giftzwerg". Laut schluchzend rannte Klaudia aus dem Zimmer ihrer Schwester. Doch bevor sie in ihrem Zimmer angekommen war, hörte sie, wie Kinga die Musik in ihrem Zimmer ohrenbetäubend laut aufdrehte. Klaudia war ganz verzweifelt. Noch nie hatte ihre Schwester so gemeine Sachen zu ihr gesagt. Natürlich hatten sie schon früher gestritten, aber noch nie so doll wie gerade. Klaudia hatte gehofft, dass sie einfach nur einmal mit Kinga reden müsste und dann wäre alles wieder gut. Doch jetzt war alles nur noch viel schlimmer und meine kleine Tochter weinte sich die Seele aus dem Leib.


Das Erste, das ich hörte, als ich vom Einkaufen aus dem Stadtzentrum nach Hause kam, war der ohrenbetäubende Lärm aus Kingas Zimmer. Ohne zu klopfen drückte ich die Türklinke zu ihrem Zimmer herunter und prallte mit meiner Nase gegen das Holz. Die Tür war abgeschlossen. "Kinga!", schrie ich also durch die Tür hindurch. "Kinga, mach sofort die Musik leiser! Das ist ja nicht zum aushalten!" Doch statt einer Antwort hörte ich nur, wie meine Tochter den Lautstärkeregler weiter aufdrehte. Und all mein Gezeter und Klopfen half nicht im Geringsten, um meine Tochter wieder zur Besinnung zu bringen.


Genervt gab ich auf. Ich war mir nicht einmal sicher, ob Kinga mich bei diesem Krach hören konnte. Die Tür zu Klaudias Zimmer war nicht verschlossen und ich fand meine kleine Tochter vertieft in ein Kinderbuch am Schreibtisch sitzend. "Klaudia, was ist bloß in Kinga gefahren?", fragte ich ein wenig gereizter, als ich es vor gehabt hatte. Die Bässe aus Kingas Zimmer hämmerten dermaßen in meinem Kopf, dass ich kaum klar denken konnte. Ich fragte mich, wie Klaudia es hier nur aushielt und auch noch lesen konnte? Doch mein Pummelchen zuckte nur mit den Schultern und blickte nicht einmal von ihrem Buch auf.


Ich schlug meinem Pummelchen vor, dass wir lieber ins Freie gehen sollten. Auch hier war die Musik aus Kingas Zimmer immer noch zu hören, aber es war bei weitem angenehmer. Klaudia folgte mir schweigend spielet schließlich mit ihrem Zwirbelwirbel, während ich einfach die Sonne auf meiner Haut genoss. "Gott, was geht denn da im Haus ab?", fragte Tristan, als seine Fahrgemeinschaft ihn vor der Simlane absetzte und er auf uns zukam. "Kinga", antwortete ich knapp. "Ich hab versucht mit ihr zu reden, doch sie hört mir nicht einmal zu".


"Aber auf mich wird sie hören!", schnaubte Tristan und stampfte ins Haus. Kräftig an die Tür hämmernd schreie er Kinga an. "Mach sofort diesen Lärm aus! Bis du etwa total übergeschnappt?! Außer dir wohnen noch drei weitere Personen in diesem Haus! Also mach jetzt die Musik leiser, Kinga! hast du mich verstanden?!". Das hatte sie wohl, denn augenblicklich wurde der Lärm leiser und ging so weit zurück, dass man ihm kaum mehr durch die Tür wahrnahm. Allerdings antwortete Kinga mit keinem Wort und auch die Tür zu ihrem Zimmer öffnete sich nicht.


Erst am Abend verließ Kinga ihr Zimmer. Der Grund war wohl der, dass ich an diesem Abend nicht zu Hause war. "Na, hast du dich wieder beruhigt?", grummelte Tristan ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, als Kinga das Wohnzimmer betrat. Doch Kinga antwortet immer noch nicht, sondern blickte meinen Mitbewohner nur finster an. Tristan registrierte dies, spielte aber trotzdem weiter. Eher beiläufig fügte er hinzu: "Du solltest echt mal über dein Verhalten nachdenken, Prinzessin. Sonst machst du uns allen das Leben hier zur Hölle. Auch dir selbst".


Tristans Rat war gut gemeint, doch Kinga war zurzeit nicht gerade offen für irgendwelche Ratschläge und seinen sie auch noch so gut gemeint. "Jetzt hör auch dich hier so aufzuspielen", entgegnete sie patzig. Tristan sah sie verdutzt an und legte das Spielpad beiseite. Kinga funkelte ihn immer noch trotziger an. "Kinga, du kannst dich hier nicht aufführen, wie ein Kleinkind, das unbedingt seinen Lolli will. Du bist 14, verhalte dich auch so". "Und du bist nicht mein Vater, also verhalte dich auch nicht wie einer", warf sie ihn an den Kopf. Tristan war für einen Moment sprachlos. Was war bloß mit Kinga los? Langsam verstand er sie überhaupt nicht mehr.


"Nein, ich bin nicht dein Vater", erwiderte er schließlich. "Und ich hab auch nie versucht mich als Vater aufzuspielen". Tristan blieb ganz ruhig und vielleicht machte gerade das Kinga noch wütender. "Ich hab mich dir gegenüber immer wie ein Freund verhalten, aber in letzter Zeit machst du es mir schwer weiterhin mit dir befreundet zu sein. Ich weiß, dass du sauer bist auf deine Mutter. Aber davon wird es auch nicht besser. Versuch wenigstens, wieder normal mit ihr umzugehen".


Kinga kniff ihre Lippen fest zusammen. Tristan sah ihr deutlich an, dass sie nach einer schlagkräftigen Erwiderung suchte, doch ihr viel einfach nichts ein. "Ich hasse sie!", platzte sie schließlich heraus. "Und auf Freunde wie dich kann ich auch verzichten! Lasst mich doch einfach alle in Ruhe!". Damit drehte sie sich um, schnappte sich etwas aus dem Kühlschrank und verkroch sich wieder in ihre Höhle. Tristan seufzte und schüttelte den Kopf. Er konnte nur hoffen, dass es eine Phase war und Kinga sich bald wieder beruhigen würde. Ansonsten würde es schwer werden, für ihn und die restlichen Bewohner der Simlane.

 

 


Ich konnte nur froh sein, dass ich all diesem Theater entkam. Es frustrierte mich, dass ich an Kinga nicht mehr heran kam, allerdings wusste ich auch keinen Ausweg. Abends auszugehen lenkte mich zumindest ab und zwar nicht nur von meinen Problemen mit Kinga, sondern auch von meiner bevorstehenden Scheidung, die mit jedem Tag näher rückte. Roland erwies sich als wahrer Freund. Seit seinem Auszug war unsere Freundschaft abgekühlt. Doch jetzt, wo ich einen Freund dringend notwendig hatte, war er wieder für mich da. Wir gingen aus und spielten Poker oder Billard. Und plötzlich hatte ich das Gefühl, als ob ich wieder 19 und gerade erst in der Sierra Simlone angekommen wäre.


Wir konnten stundenlang miteinander reden, uns Witze erzählen oder einfach nur zusammen eine Eisbombe oder ein riesiges Stück Torte verdrücken. Mit Roland konnte ich über meine Sorgen mit Kinga sprechen, oder einfach nur bei ihm ausspannen. Und ich glaube, auch Roland war froh, endlich dem Alltag als Chefarzt, Ehemann und Vater zu entkommen. "Oxana, ich liebe meine Kinder wirklich. Ich liebe sie alle drei. Aber die beiden Zwillinge würde ich manchmal am liebsten auf der Schwelle des Klosters abgeben". Ich sah, dass Roland das nur als Scherz meinte, als konnte ich mit lachen. "Die beiden werden jetzt bald vier, oder?" Roland nickte. "Dann wird es auch bald einfacher. Kinga und Constance haben wir doch auch groß bekommen. Und spätestens mit fünf waren sie wahre Engel". Roland nahm einen großen Bissen der Torte. "Ja", sprach er mit vollem Mund, aber wir waren auch 10 Jahre jünger. Du kannst es mir glauben, die zwei werden sicherlich meine letzten beiden Kinder".

 

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