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Tristan hatte Recht. Ich musste die Simlane und die Sierra Simlone verlassen, wenn ich wieder einen klaren Kopf bekommen wollte. Als Dominik und Tristan bei der Arbeit und Kinga in der Vorschule waren, packte ich ein paar Sachen in meinen Koffer. Ich schrieb einen kurzen Abschiedsbrief, in dem ich meiner Tochter, Dominik und Tristan mitteilte, dass es mir gut ginge und sie sich keine Sorgen machen sollten. Diesen Brief legte ich gut sichtbar im Wohnzimmer hin. Dann schrieb ich aber noch einen weiteren an Tristan, den nur er sehen sollte. Ich hoffte, dass Tristan Recht behielt, dass ein wenig Abstand mir gut täte.


Ich stieg aus der Straßenbahn, die nur wenige Meter von dem bröckeligen Plattenbau hielt, der mein Ziel darstellte. Mit meinem Koffer in der Hand ging ich auf den Eingang zu, als eine alte Frau mit einer Schüssel voller Essensreste aus der Einganstür kam und sie den streunenden Hunden vor dem Haus hinstellte. "Babciu", rief ich erfreut aus und lief auf die alte Frau zu, die niemand anderes als meine Großmutter war. Verwirrt drehte sie sich zu mir um und riss ihre Arme hoch, als sie mich erkannt. "O, moja kochana Oxanka“, rief sie in polnisch, „Komm zu deiner alten Großmutter".


Die Überraschung war mir eindeutig gelungen. Mit dem alten Fahrstuhl fuhren wir in den 9 Stock des Hochhauses. Ich sah mich kurz in der Wohnung um, aber es hatte sich nichts verändert, seitdem ich meine Großeltern vor sieben Jahren verlassen hatte. Alles war hier so wie immer. Alles war einfach, aber man fühlte sich gleich geborgen und geliebt. Es war nur zu schade, dass mein Großvater, Gott hab ihn selig, nicht mehr unter uns war. Er war vor zwei Jahren abends einfach schlafen gegangen und ist morgens nicht mehr aufgewacht. Es hatte uns alle unerwartet getroffen, aber mein Großvater hatte 73 glückliche Jahre gelebt. "Du hast doch bestimmt Hunger, Kindchen. Soll ich dir Rührei machen? Und ein paar Brühwürste? Reichen dir vier Butterstuhlen dazu?". Ja, das war meine Oma.


Vor dem Essen konnte ich mich dann auch nicht drücken, obwohl ich noch im Flugzeug gefrühstückt hatte. "Oxanka, du bist ja ganz abgemagert", war ihr erster Kommentar nach unserer Begrüßung. "Gibt es in der SimNation denn nicht genügend zu essen?". Ganz Unrecht hatte sie natürlich nicht. Ich war tatsächlich dünn geworden. Aber meine Oma würde schon dafür sorgen, dass ich zulegte. "Babciu, darf ich für ein Weile bei dir bleiben?", fragte ich sie. "Ach, Töchterchen, ich freue mich doch immer, wenn meine Enkel mich besuchen. Bleib solange wie du willst".


"Wo hast du denn meine kleine Urenkelin gelassen? Und wo ist mein hübscher Schwiegerenkel?". Das waren natürlich gleich die ersten Fragen meiner Großmutter. Aber darauf war ich vorbereitet und konnte ihr versichern, dass es allen gut ginge, sie gerne mitgekommen wären, aber Dominik arbeiten und Kinga zur Schule gehen müsse. Trotzdem kam ich nicht umhin, ihr jede Einzelheit aus Kingas Leben zu erzählen. Schließlich war sie die einzige Urenkelin meiner babcia und sie war unheimlich stolz auf die Kleine.


Meine Oma rief natürlich gleich bei meiner Tante Kasia an, um ihr von meinem Überraschungsbesuch zu erzählen. Daraufhin wurde ich gleich zum Abendessen zu ihr eingeladen. Oma kam selbstverständlich mit und mit Kazik, dem Mann meiner Tante, waren wir vier Leute, die einen schönen Familienabend mit einer Menge Essen und auch Trinken verbrachten. Bei dem Trinken hielt ich mich aber bewusst zurück, schließlich musste ich auf ein ungeborenes Kind Acht geben.


Es war schön wieder bei meiner Familie zu sein und ich erinnerte mich sofort, wie glücklich ich in dem Jahr hier in Warschau gewesen war. Wir blieben bis tief in die Nacht bei meiner Tante, die mich in so vielen Dingen an Paps erinnerte. Glücklicherweise wohnte sie nur zwei Wohnblocks entfernt, denn irgendwann wurde ich doch sehr müde. So ein Flug schlaucht einen einfach. Mein altes Bett stand immer noch an seinem Platz. Mir wurde immer ganz komisch, wenn ich daran dachte, dass bereits Paps als Junge in diesem Bett geschlafen hatte. Und kaum lag ich unter der Decke, überkam mich ein tiefer, erholsamer Schlaf.


Die nächste Woche verlief wirklich toll. Meine Probleme schienen wie weggewischt. Zumindest bereiteten sie mir keine schlaflosen Nächte mehr. Ich unterhielt mich viel mit meiner Großmutter und half ihr bei der Hausarbeit. In ihrem Alter konnte sie nicht mehr alles so gut machen, wie es früher einmal ging. Und seitdem mein Großvater gestorben war, fühlte sie sich oft einsam, auch wenn sie es nie zugeben würde.


Ich besuchte mit ihr auch das Grab meines Großvaters. Seltsamerweise erinnerte mich sein Grab nicht an Alberts Tod. Ich schien Sierra Simlone ganz aus meinen Gedanken gestrichen zu haben. Beim Pflegen des Grabes konnte ich sogar richtig gut entspannen und meine babcia war froh, dass ihr jemand diese Arbeit abnahm.


Und dann gab es noch den kleinen Sonnenschein, meine Cousine Katharina. Nach all den Jahren, in denen meine Tante versuchte schwanger zu werden, hatte es nie geklappt. Und als sie und ihr Mann die Hoffnung schon aufgegeben hatten, wurde Tante Kasia plötzlich schwanger. Und die Kleine war ein süßer Fratz. Das Warten hatte sich eindeutig gelohnt.

 



"Und du weißt wirklich nicht, wo sie sein könnte, Joanna? Sie ist jetzt schon seit einer Woche weg und hat sich nicht gemeldet....Nein, bei eurer Großmutter ist sie nicht, dort hat Tristan gleich am Anfang angerufen. Stasia meldet sich, wenn Oxana bei ihr auftauchen sollte. Trotzdem danke, Joanna. Und ruf mich sofort an, wenn deine Schwester bei dir auftauchen sollte". Tristan hatte nur zufällig den letzten Teil des Gesprächs mitbekommen und sofort überkam ihn ein schlechtes Gewissen. So ganz stimmte es ja nicht, was Dominik da berichtet hatte.


"Hey, Nick, mach doch nicht so ein Gesicht", versuchte er deshalb seinen Mitbewohner aufzuheitern. "Ich bin mir sicher Oxana geht es gut". Dominik seufzte schwer. "Ja, dass erzählst du mir jetzt schon seit Tagen. Aber wie kann ich mir keine Sorgen machen, wenn meine Freundin einfach so verschwindet und nur einen blöden Zettel hinterlässt? Und dann hat sie sich die letzten Wochen auch noch so komisch verhalten und körperlich war sie auch nicht fit. Ich dreh hier gleich durch, Tristan!"


"Diese Frau bringt mich noch um den Verstand! Was soll ich den Kinga sagen, dass sie Abhauen ist? Hat sie überhaupt an die Kleine gedacht?". Dominik war nicht mehr nur frustriert, langsam aber sicher mischte sich auch Wut unter seine Gefühle. "Ich liebe Oxana. Und wie ich sie liebe. Doch manchmal möchte ich diese Frau am liebsten in der Luft zerreißen! Dabei will ich doch nur, dass sie glücklich ist, verdammt!"


"Dann, dann solltest du ihr das auch sagen, Nick". Tristan strich sich verlegen durch das Haar und biss sich auf die Lippe. "Ich hab geschwindelt, als ich sagte, dass Oxana nicht bei ihrer Großmutter ist. Sie hatte es mir mitgeteilt, aber sie wollte nicht, dass ihr jemand folgt. Aber du solltest zu ihr Dominik. Ich glaube, sie könnte dich gerade brauchen".

 



Ich warf einen weitren Würfel Zucker in meinen schwarzen Tee und drückte die Zitronenscheibe am Glasboden aus. Im Fernsehen lief gerade eine Folge "Wirrungen der Begierde" in der polnischen Synchronisation und meine Oma verschlang gierig jede Folge davon. Immerhin hatte ihr Sohn für einige Zeit eine Hauptrolle in dieser Serie gespielt. Als wir ein Klopfen an der Wohnungstür hörten, stand meine Oma auf und ging zur Tür. Es gab gerade ohnehin eine Werbeunterbrechung und ich war mit meinem Tee beschäftigt. "Oxanka", rief sie mir aufgeregt zu, den Blick durch den Türspion gerichtet, "da steht dein Mann vor der Tür".


Ich verschluckte mich fast an meinem Tee, als ich das hörte. Sofort lief ich ihn den Flur und flehte meine Oma an: "Sag ihm nicht, dass ich hier bin, baciu. Ich möchte ihn nicht sehen. Bitte!". Meine Oma sah mich sichtlich verwirrt an. Aber meinem flehenden Gesichtsausdruck konnte sie nicht widerstehen und gab nach. Und während sie zur Tür ging, versteckte ich mich in der Küche, wo ich jedes Wort aus dem Treppenhaus hören konnte.


"Hallo, Stasia", begrüßte Dominik meine Großmutter, als sie ihm die Tür öffnete. "Ich Möchte Zu Oxana", sprach er bemüht langsam und deutlich, da meine Oma kein Wort Simlisch und er kein Wort Polnisch sprach. "Ist Oxana Hier?". Es viel meiner babcia schwer zu lügen, aber mir zuliebe tat sie es. "Oxana Nix Hierr", antwortet sie in gebrochenem Simlisch. "Aber ich weiß, dass sie bei dir ist. Stasia, Bitte Lass Mich Zu Oxana". "Nix Hierr Oxana", antwortete meine Großmutter noch einmal bestimmt und stellte sich so in die Tür, dass Dominik nicht einfach hinein stürmen konnte. Dennoch schmerzte Dominiks enttäuschter Blick sie sehr.


Deshalb folgte sie ihm auch, als er sich zögerlich von der Tür abwand. Aus der Tasche ihres Kittels holte sie einen Zettel und einen Bleistift und schrieb die Adresse von Tante Kasia auf. "Hierr Warrten", deutete sie auf den Zettel und konnte nur hoffen, dass Dominik verstand, was sie wollte. "Danke, Stasia". Dominik nahm die Hand meiner Großmutter und küsste sie galant, was meiner Oma die Röte in die Wangen trieb und ihr ein schüchterndes Kichern entlockte. Mit der Adresse in der Hand eilte Dominik beschwingt die Treppe des Hochhauses hinunter.

 

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