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Er Rang mit sich selbst. Noch einmal streckte er seinen Arm aus, um mich zu berühren, doch mein verängstigter Blick ließ ihn im letzten Augenblick seine Hand zurückziehen. Er seufzte resigniert und ging zurück ins Schlafzimmer. Ich saß noch eine ganze Weile regungslos auf dem Sofa. Schließlich legte ich mich hin. Und obwohl ich zum Umfallen müde war, schaffte ich es nicht einmal meine Augen geschlossen zu halten.


Irgendwann realisierte ich, dass ich vor Rolands Bett stand. Ich überlegte nicht lange, sondern ging einfach an die leere Bettseite und legte mich zu ihm unter die Decke.


Roland begann sich zwar etwas herumzuwälzen, aber er wachte nicht auf. Zunächst beobachtete ich nur, wie das Mondlicht seine blonden Haare anstrahlte. Eher unbewusst begann ich damit, mit meinem Finger den Umriss seines Schulterblattes nachzuzeichnen. Und eh ich es mich versah, schmiegte ich mich eng an den Rücken meines besten Freundes. Und augenblicklich fielen meine Augen zu und ich viel in einen erholsamen Schlaf.

 



Als ich am Morgen aufwachte, war das Bett an meiner Seite leer. Es war schon hell draußen und ein Blick auf den Wecker verriet mir, dass es bereits nach neun war und Roland somit längst im Krankenhaus sein musste. Ein wenig war ich enttäuscht, dass er weg war. In seiner Nähe fühlte ich mich nach wie vor am geborgensten.


Auch die Kinder, Tristan und Dominik waren nicht mehr im Haus. Ich war froh, sie nicht um mich haben zu müssen. Ich ertrug es nicht, wenn sie in meiner Nähe waren. Sie versuchten ständig, mich aufzuheitern, doch ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden. Und Kinga....wenn ich sie sah, dann kamen sofort alle Erinnerungen an Albert hoch. Und das tat einfach zu weh. Ich wollte meine Tochter nicht um mich haben. Das einzige, was mir Halt gab, war die Arbeit auf der Farm.


Die Tiere brauchten mich. Und diese tägliche Pflicht hielt mich davon ab, völlig in einem Sumpf aus Trauer und Schmerz zu versinken. Gleich nach Alberts Beerdingung war ich in ein tiefes Loch gefallen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr. Ich wollte nur noch zu Albert und es schien einen einfachen Weg zu geben, dieses Ziel zu erreichen. Es war nicht Dominik oder Kinga, die mich davon abhielten mit dem Wagen in die nächste Schlucht zu stürzen. Es war Grünspan, meine Farm, mein Land, meine Heimat die mich davon abhielt. Aber immer noch hielt mich dieses düstere Loch umklammert.


Ich arbeitete stumpf vor mich hin, nur um eine Beschäftigung zu haben. So ging das nun schon seit Wochen und es half mir, nicht völlig zusammen zu brechen. Während der Arbeit auf der Farm blendete ich alles um mich herum aus. Ich befand mich dann in einer Art Trance-Zustand und hatte nicht mehr die volle Kontrolle darüber, was ich tat. Und so gewann mein Unterbewusstsein immer wieder die Oberhand und plötzlich stand ich an Alberts Grab auf dem Friedhof von Sierra Simlone Stadt.


Mich überkam wieder dieser Schmerz, als ich Alberts Namen auf dem schweren Grabstein sah. Weinen konnte ich schon lange nicht mehr. Meine Tränen waren versiegt. Leichter wurde es dadurch nicht, denn so fehlte mir jede Möglichkeit, meinem Schmerz aus mir heraus zu lassen. Ich fühlte mich einfach nur traurig, leer und einsam.


Trost in meiner Familie fand ich nicht. Das letzte Jahr mit Albert, die Angst um ihn nach dem Unfall und das unendliche Gefühl des Glücks, als er endlich aus dem Koma erwachte und mir seine Liebe versicherte haben mir deutlich gezeigt, dass ich Dominik nicht liebte und ihn auch nie würde lieben können. Und deshalb fürchtete mich vor jeder Begegnung mit ihm, denn dadurch wurde mir wieder bewusst, was ich verloren hatte.


Und auch Kingas Gegenwart machte es mir nicht einfacher. Sie war Alberts Tochter. Das einzige, was mir noch von ihm geblieben war. Aber ich sah sie nicht als Trost, sondern als eine ständig quälende Erinnerung an meine große Liebe, die so unerwartet von mir gerissen wurde. Da ich tagsüber mit der Farmarbeit beschäftigt war, sah ich sie glücklicherweise so gut wie überhaupt nicht. Aber mit Dominik, Roland und Tristan hatte sie genügend Menschen, die sich um sie kümmerten.


Diejenige, die unter meiner labilen mentalen Lage am meisten litt, war Constance. Seit das Jugendamt Roland seine Tochter vorbeibrachte, hatte ich sie ins Herz geschlossen. Meine Beziehung zu ihr war in vielerlei Hinsicht sogar besser als zu meiner eigenen Tochter. Doch jetzt war ich viel zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftig, um auf sie Rücksicht nehmen zu können. Jetzt musste Roland alleine zusehen, wie er seiner Tochter helfen konnte.


Ich blieb bei Alberts Grab, bis die Sonne hinter dem staubigen Horizont versank. Dann fuhr ich zurück nach Hause. Ich hatte Glück, dass niemand im Wohnzimmer saß, so konnte ich mich unbemerkt ins Schlafzimmer schleichen. Und auch das Bett war noch leer. Mir fiel ein Stein vom Herzen, den ich hätte vielleicht nicht die Kraft aufgebracht, mich zu Dominik zu legen. Wenn ich Glück hätte, schlief ich bereits tief und fest, bevor er sich auch schlafen legte. Zumindest hoffte ich es sehr.

 



Und tatsächlich schlief ich schnell ein. Die Arbeit unter der glühenden Sonne der Sierra Simlone hatte mich ausgelaugt. Außerdem hatte ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen. Aber Hunger verspürte ich schon seit Wochen nicht mehr. Ich bemerkte nicht, dass Kinga in mein Zimmer kam und mich wortlos anschaute. Einige male bewegte sie sich auf das Bett zu, als ob sie zu mir unter die Decke kriechen wollte. Doch jedes Mal wich sie im letzten Moment zurück und verließ das Schlafzimmer wieder.


Danach machte sie sich für die Nacht fertig, schlüpfte in ihren rosafarbenen Pyjama und legte sich in ihr Bett. Dominik trat zu ihr hinüber, wuschelte ihr durch das Haar und drückte ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn. "Schlaf gut, meine Prinzessin". Dominik wollte schon aus dem Zimmer gehen, als Kinga sich noch einmal aufrichtete und ihn traurig ansah. "Was ist los mit Mami, Papa? Seit wir wieder zurück sind, ist sie so komisch. Hat sie uns nicht mehr lieb?"


Dominik gab sein Bestes um zu lächeln und seine Tochter zu beruhigen. "Natürlich hat Mami uns noch lieb. Sie ist nur traurig, weil es Tante Gerda nicht so gut geht. Aber jetzt musst du schlafen". Er küsste sie noch ein letztes Mal und Kinga legte ihren Kopf auch brav auf ihr Kissen und schloss ihre müden Augen. In Wahrheit war Dominik sich überhaupt nicht sicher, was mit mir los war. Seit dem Unfall von Albert und Gerda zog ich mich immer weiter von ihm und Kinga zurück. Er hat schon so oft versucht, mit mir darüber zu sprechen, doch ich schwieg ihn meist nur an oder ging ihm ganz aus dem Weg. Natürlich war Alberts Tod auch für ihn ein Schock gewesen und Gerdas Zustand hat ihn nicht kalt gelassen. Aber er konnte nicht verstehen, warum es mir Wochen danach immer noch so schlecht ging. Wie sollte er auch?

 



Als er schließlich ins Schlafzimmer kam und sich zu mir ins Bett legte, wurde ich wieder hell wach. Am liebsten wäre ich sofort aus dem Bett gestiegen, doch ich wartete, bis ich sein gleichmäßiges Atmen hörte und schlich mich erst dann unbemerkt hinaus. Ich wollte auf keinen Fall, dass er mir folgte, wie letzte Nacht. Und um nicht wieder in traurige Erinnerung an Albert zu verfallen, schnappte ich mir den Putzeimer und begann mitten in der Nacht das Bad zu schrubben.


Ich putzte die ganze Nacht durch. Das Haus hatte immerhin zwei Bäder und die Küche war in einem sechs Personen Haushalt ohnehin kaum sauber zu halten. Die Sonne begann schon aufzusteigen, als Roland verschlafen aus seinem Zimmer trat. Er fuhr erschrocken zusammen, als er mich plötzlich vor sich stehen sah. Doch ich lächelte ihn freundlich an. Es war schön, ihn zu sehen. Die letzte Nacht bei ihm im Bett hatte mir wirklich gut getan und vielleicht konnte mein bester Freund mich ja noch mehr aufheitern.


Doch dazu sollte es nicht kommen. Ich wollte ihn eigentlich nur Umarmen, um ihm zu danken, doch Roland löste sich sofort aus der Umarmung und schob mich auf Abstand. "Oxana, du kannst so etwas nicht machen", stammelte er und auf meinem Gesicht machte sich die Verwirrung breit. "Ich bin mit Brandi zusammen und glücklich mit ihr. Da kannst du nicht einfach herkommen und mich halbnackt in Unterwäsche umarmen. Oder dich zu mir ins Bett legen, wie letzte Nacht. Das geht einfach nicht, Oxana. Es gibt Grenzen".

 

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