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Die nächsten Tage sollte ich mich schonen. Dominik erlaubte mir nicht mehr aufs Feld hinaus zu fahren oder im Obsthein zu arbeiten. Er übernahm die Arbeit in der Zwischenzeit. Doch an meinem Zustand änderte dies nichts. Ich zog mich immer noch von jedem zurück und war bemüht, in meinem Kopf vollkommene Leere herrschen zu lassen. Das klappte auch...meistens zumindest. Doch immer wieder kam die Erinnerung an Albert hoch, an unsere gemeinsamen Stunden, an ein gemeinsames Frühstück.


Und dann stieg die Übelkeit in mir hoch. Alles was ich zuvor gegessen hatte suchte sich seinen Weg nach draußen. Und so erging es mir bei fast jeder Mahlzeit. Ich versuchte es vor meinen Mitbewohnern zu verbergen, denn ich hatte keine Lust, noch mehr von ihren Umsorgungen ertragen zu müssen. Ich wollte nur in Ruhe gelassen werden.


An einem Tag wollte ich wieder raus zu meinen Tieren. Da ich wusste, dass Dominik mich nicht würde gehen lassen, schlich ich nachts aus dem Bett, zog meine Arbeitskleidung an, die ich im Arbeitszimmer versteckt hatte und wollte raus. Doch bereits beim Anziehen überkam mich ein furchtbares Schwindelgefühl und ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Und so sehr es mir widerstrebte, ich musste mich wieder umziehen und im Haus bleiben.


Doch das Schwindelgefühl und die Übelkeit blieben. Inzwischen wurde es egal, ob ich an Albert dachte, oder nicht. Ich konnte nichts dagegen unternehmen und langsam ließ es sich auch nicht mehr geheim halten.


Und dann brach ich erneut zusammen. Ich erhob mich nur aus dem Sessel, als sich alles um mich herum drehte und dann schwarz wurde. Zufällig war Dominik in meiner nähe und fing mich auf, als meine Knie nachgaben.

 



Diesmal ließ Dominik nicht mehr mit sich reden. "Wir fahren jetzt sofort zu Arzt!". Als ich widersprechen wollte packte er mich unsanft am Arm und zerrte mich zum Auto. Er sprach während der kurzen Fahrt kein Wort, aber sein aggressiver Fahrstil verriet, dass er wütend zu sein schien. Seine Besorgnis entging mir dabei völlig. "Steig aus!", ordnete er an, als wir bei der Praxis der Landschwester ankamen.


Schwester Mphenikohl wartete bereits im Inneren auf uns, denn Dominik hatte sie vorher angerufen. "Guten Tag, Frau Brodlowska", begrüßte sie mich freundlich. "Ihr Lebensgefährte schien besorgt, am Telefon. Und nach ihrem kürzlichen Zusammenbruch kann ich das auch gut nachvollziehen. Kommen sie doch bitte in das Behandlungszimmer. Und Sie, her Blech, können hier im Wartezimmer Platz nehmen". Sie deutete auf die Sessel in der Nähe des Eingangs. Dominik war zwar nicht begeistert, dass er nicht mit hinein durfte, aber er folgte ihrer Anweisung.


Ich dagegen musste mich förmlich in das Behandlungszimmer ziehen lassen. Ich sah nicht ein, was ich hier sollte. Ein Arzt konnte mir nicht helfen. Das konnte niemand. Ich brauchte nur Zeit, um mit der Situation fertig zu werden. Aber das schien keiner zu begreifen. Also ließ ich den Wortschwall der Landschwester über mich ergehen. "Herr Blech erklärte mir bereits, dass Sie über Schwindelgefühl und Übelkeit klagen. Und ich behandle Sie schon seit Jahren, Oxana, die tiefen Schatten um Ihre Augen sind aber erst seit kurzem in ihrem Gesicht. Haben Sie noch weitere Beschwerden?". Ob ich noch weitere Beschwerden hatte? Meine große Liebe war tot! Das fehlte mir! Aber natürlich sagte ich das nicht, sondern schüttelte nur mit dem Kopf.


Schwester Mphenikohl bat mich, auf der Untersuchungsliege Platz zu nehmen. Sie überprüfte meine Reflexe, testete meine Reaktionen. Sie stellte mir lauter blödsinnige Fragen, wie etwa nach dem heutigen Datum oder nach dem momentanen Regenten. Fragen, die ich lustlos, aber richtig beantwortete. Danach musste ich eine Urinprobe abgeben und die Landschwester nahm mir Blut ab. Ich ließ alles über mich ergehen. Vielleicht würde man mich dann zufrieden lassen.


"Reagieren Sie zurzeit ungewöhnlich auf bestimmte Gerüche? Tritt ihre Übelkeit vielleicht besonders beim Geruch von Essen auf?". Was sollte diese Frage? Natürlich wurde mir nur schlecht, wenn Essen in der Nähe war, aber das ist ja auch völlig normal. Trotzdem bejahte ich die Frage. "Wann hatten Sie zum letzten Mal ihre Regel, Oxana?". Meine Regel? Ich versuchte mich zu erinnern. Ja, vor zwei Wochen musste es gewesen sein. Seitdem ich die Pille nahm, kamen meine Tage immer exakt zur Monatsmitte. "Und Sie sind sich sicher, dass Sie sie bekommen haben?". Erst nickte ich, doch dann begann ich zu zögern. Seit Alberts Beerdigung hab ich nicht mehr wirklich darauf geachtet. Und erst jetzt viel mir auf, dass ich die Pille schon seit mehreren Wochen nicht mehr genommen habe. Seit Alberts Verschwinden nicht mehr.


Schwester Mphenikohl fragte immer weiter. Dann begann sie mich weiter zu untersuchen. Zwischenzeitlich war sie mit einigen Tests beschäftigt, während sie ein EKG von mir aufnahm. Insgesamt dauerte die Untersuchung beinah eine Stunde. "Sie haben einen akuten Eisen und Vitaminmangel, Oxana. Und Sie sind auch noch weiterhin Dehydriert. Sie müssen unbedingt mehr trinken. Und Sie sollten auch etwas an Gewicht zulegen. Sie sind sehr dünn und demnächst werden Sie Energie für zwei brauchen. Sie sind schwanger, Oxana".


Ja, ja, Vitaminmangel. Sollte sie mir doch ein paar Tabletten verschreiben. Und mehr trinken konnte ich auch. Aber das Essen kam doch eh wieder hoch. Und wenn sie Albert nicht zurück bringen konnte, dann würde das auch nicht besser werden. Doch dann drangen ihre letzten Worte zu mir durch. "Schwanger?", entfuhr es mir. "Aber ich...ich kann nicht schwanger sein. Ich nehme doch die Pille und ich hatte keinen Sex mehr seit, seit mindestens fünf Wochen. Ich kann nicht schwanger sein".


Ich erhob mich hastig aus meinem Stuhl und sofort überkam mich erneut ein Schwindelgefühl. "Sie sollten sich wieder setzten, Oxana", riet mir die Landschwester. Doch ich wollte nicht. "Wer ist der Vater?", platzte ich heraus, ohne über meine Worte nachzudenken. Schwester Mphenikohl schien von diesen Worten sichtlich überrascht. "Nun, dem Hormonspiegel zufolge sind Sie etwa in der fünften oder sechsten Woche", erklärte sie verlegen. "Wer in diesem Bereich als Vater in Frage kommt, müssen Sie selber wissen. In diesem Zeitraum waren sie auch bei mir wegen einer kleinen Infektion und ich habe ihnen ein Antibiotikum verschrieben. Es ist möglich, dass dieses Medikament die Wirkung der Pille beeinträchtigt hat“.


Sie holte einige Vitamin- und Eisenpräparate aus dem Medikamentenschrank und gab sie mir. "Nehmen Sie die dreimal am Tag. Und wie gesagt, trinken Sie viel und achten Sie auf ihre Ernährung. Ansonsten sollten Sie spätestens in vier Wochen zur nächsten Untersuchung kommen". Als ich in der Praxis eintraf, war mein Kopf wie leergefegt gewesen. Jetzt überschlug sich alles darin. Ich ignorierte Dominik und ging einfach zum Auto. "Was fehlt ihr?", wand sich Dominik deshalb an Schwester Mphenicol. "Körperlich ist sie in Ordnung, nur etwas ausgelaugt. Aber ich fürchte, ihre Lebensgefährtin hat ein psychisches Problem. Vielleicht ist es gut, wenn sie Hilfe bei einem Spezialisten suchen". Die Schwangerschaft erwähnte sie aber nicht. Sie hatte schon genug Schwangere behandelt um zu wissen, dass diese selbst entscheiden musste, wann und ob sie sich ihren Lebensgefährten mitteilten.


Kaum war ich in die heiße Mittagssonne hinaus getreten, überkam mich erneut eine Welle der Übelkeit und ich musste mich auf dem Parkplatz übergeben. "Soll ich die Landschwester holen?", fragte Dominik, der inzwischen auch hinausgekommen war. Ich schüttelte den Kopf. "Fahr mich einfach nur nach Hause", bat ich ihn und stieg der Verzweiflung nahe in das Auto.

 



Ich sprach auf der Rückfahrt kein Wort mit Dominik. Er versuchte zwar mich mit albernen Witzen aufzuheitern, doch ich nahm ihn kaum wahr. Am liebsten hätte ich mich sofort in mein Bett verkrochen, doch als wir in der Simlane vorfuhren, wartete bereits ein Grillabendessen auf uns. Roland ließ mir auch keine große Wahlmöglichkeit, sondern pflanzte mich auf den nächsten freien Stuhl unter unserem Sonnendach. "Ich habe ein Ankündigung zu machen", erklärte Roland schließlich, nachdem die ersten Hot Dogs bereits verspeist waren. "Ihr wisst alle, dass Brandi und ich in wenigen Monaten heiraten werden. Und es ist mehr als überfällig, dass wir beide zusammen ziehen. Die Simlane ist zwar ein schöner Ort, aber es wir Zeit, dass ich mir mit meiner zukünftigen Frau etwas Eigenes aufbaue. Und deshalb werden Constance und ich nächstes Wochenende ausziehen". Tristan klappte bei diesen Worten regelrecht der Kinnladen herunter. "Was? Du kannst doch nicht....Warum hast du mir nichts erzählt?", stotterte er.


Der Einzige, der sich über diese Neuigkeit freute, war wohl Dominik. "Wird aber auch langsam mal Zeit, dass du das Nest verlässt, Reichardt. Du bist meinem Mädchen und mir schließlich lang genug auf den Wecker gegangen. Aber ein bisschen werde ich deine Visage schon vermissen. So etwas....Außergewöhnliches sieht man schließlich nicht alle Tage". Ich sah die Prügelei schon deutlich vor meinen Augen, doch Roland hatte genügend Selbstbeherrschung um es nicht so weit kommen zu lassen. "Du wirst mir auch fehlen", war seine trockene Erwiderung.


Diese Neuigkeit war natürlich nicht neu für mich. Ich wusste, dass Roland weg wollte. Aber das es so schnell passieren würde traf mich doch unvorbereitet. So viele Jahre sind wir durch dick und dünn gegangen und jetzt würde Roland einfach so ausziehen. Mir war zum Heulen zumute. Und während Kinga, Tristan und Dominik Roland mit Fragen zum neuen Haus überhäuften, betrachtete ich wehmütig Roland, der überglücklich schien. Ich beneidete ihn so sehr dafür, dass er seine Traumfrau gefunden hatte und mit ihr glücklich werden würde. Meine Hoffnung auf Glück war am Tag von Alberts Beerdigung mit ihm begraben worden.


Doch noch jemand schien wenig glücklich über den Auszug zu sein. Constance sah ihren Vater mit traurigen Augen an. Man konnte deutlich sehen, dass sie nicht ausziehen wollte. Roland war zwar ihr Vater, aber irgendwie gehörten wir alle zu ihrer Familie. Dominik, Tristan, King und ganz besonders ich. Wir waren die einzige Familie, die sie je kennengelernt hatte. Und Brandi war bloß eine Fremde für sie.

 

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