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Auf dem Rückflug von Algerien schliefen die beiden wie
zwei Steine. Doch kaum waren sie in ihrem kleinen Bunker im
Wald angekommen, war alle Müdigkeit wie weggeblasen.
"Das war der absolute Hammer!", schwärmte Kinga
immerzu. "Und ich dachte wirklich, die beiden Typen würden
uns abknallen. Peng, peng! Ich bin im Leben noch nicht so
schnell gerannt. Und das in Heels!"
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"Glaubst du...glaubst du, Senora Ewa wird uns noch auf
weitere Missionen schicken? Sie ist doch deine Tante, du musst
mit ihr reden! Ich hab mich noch nie so lebendig gefühlt,
wie in diesen wenigen Stunden". "Sie wäre dumm,
wenn sie uns nicht wieder los schicken würde. Immerhin
hat alles problemlos geklappt. Wir haben die Daten besorgt.
Damit kann "Justice" sicher einigen Gaunern das
Handwerk legen. Und wir haben dazu beigetragen! Ich kann es
immer noch nicht ganz begreifen".
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So ging das die ganze Nacht hindurch, bis die Mädchen
dann schließlich doch den Weg in ihre Betten fanden.
Am Morgen wurde Kinga vom Klopfen an der Tür geweckt.
Verschlafen öffnete sie und fand ihre Großtante,
Senora Ewa, vor. Diese Betrat den Bunker einfach, ohne auf
eine Einladung zu warten. Auch Romina wurde langsam wach und
Kinga begann sofort aufgeregt von ihrem Einsatz zu berichten.
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"Der Bericht lag heute Morgen auf meinem Schreibtisch",
unterbrach sie ihre Nichte. "Und für euren ersten
Einsatz habt ihr beide euch sehr gut geschlagen". "Erster
Einsatz? Soll das heißen, es warten weitere Aufgaben
auf uns", palpperte Kinga einfach dazwischen. Senora
Ewa lachte. "Aber natürlich! Nur nicht jetzt, eure
Ausbildung ist noch lange nicht abgeschlossen. Ihr müsst
diesen Einsatz eher als einen kleinen Vorgeschmack darauf
sehen, was euch in Zukunft bei "Justice" erwarten
kann. Aber dafür müsst ihr euch beide anstrengen.
Ihr dürft nicht mit halbem Herzen dabei sein. Wir verlangen
euren vollen Einsatz."
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"Und den wird die Organisation von mir auch bekommen",
versicherte Kinga ohne zu zögern. "Ich...ich habe
diesen Ort gehasst, als ich hier her kam, weil ich nicht verstand,
was ich hier sollte. Ich dachte, es wäre nur, damit meine
Mutter mich einfach wie ein Stück Abfall entsorgen kann.
Aber ich habe mich geirrt. Ich hasse meine Mutter nachwievor,
aber es verschafft mir Genugtuung, dass ich durch sie nur
noch stärker geworden bin".
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"Hass ist eine sehr starke Emotion, Kinga. Bewahre ihn
dir, denn er kann dir eine Quelle der Kraft sein. Aber sei
vorsichtig, dass er dich nicht übermannt. Sonst zerstört
er dich und es wäre wahrlich eine Schande, wenn "Justice"
dich verlieren würde", warnte Senora Ewa sie eindringlich
und hoffte, dass Kinga die volle Tragweite ihrer Worte verstand.
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"Aber ich bin noch wegen einer anderen Angelegenheit
hier", erklärte Senora Ewa. "Ich möchte,
dass ihr Eure Sachen zusammen packt. Ihr werdet noch im Laufe
des Tages in ein anderes Haus umziehen. Es wird nicht mehr
Luxus bieten, als diese hier, aber es ist näher an der
Lehrbaracke gelegen und ihr beide werdet nicht länger
isoliert werden. Versucht Kontakte zu euren Kommilitonen zu
knüpfen. Es kann nicht schaden, wenn ihr früh eure
zukünftigen Kollegen bei "Justice" kennen lernt."
"Natürlich, Senora Ewa", pflichtete Romina
ihr bei und konnte sich ein Kinga gewidmetes verstohlenes
Lächeln nicht verkneifen.
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Am Nachmittag kam Olek vorbei und holte die wenigen Sachen
ab, die die beiden jungen Frauen besaßen. Mitfahren
durften die zwei allerdings nicht. So brachen die beiden zu
Fuß zu der Holzhütte auf, die ihnen Olek beschrieben
hatte. Wie der Bunker, lag auch diese mitten im Wald, der
sich inzwischen in goldenen Herbstfarben präsentierte,
aber zur Lehrbaracke waren es gerade einmal 20 Minuten Fußweg.
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Neugierig blickten die beiden sich in ihrem neuen Zuhause
um. Und auch wenn es groß war, viel großer als
ihr winziger Bunker, fand sich darin doch keine Menschenseele.
"In unserem Schlafraum steht noch ein drittes Bett, aber
es sieht noch vollkommen unbenutzt aus", verkündete
Romina, als sie zu Kinga in den Gemeinschaftsraum kam. "Hier
lag ein Zettel", erklärte diese. "Wir sollen
unter dieser Nummer hier anrufen". Kinga blickte sich
in dem Raum um und entdeckt gleich ein uraltes Telefon an
der Wand.
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"Na ob das alte Ding noch funktioniert?". Romina
betrachtete den Apparat skeptisch. Aber ein Signal war zu
hören. Wählen konnte sie trotzdem nicht. "Du
Kinga, da sind gar keine Tasten und auch keine Drehscheibe.
Wie soll ich denn da anrufen?" "Hör mal, ob
sich jemand meldet", riet Kinga ihr und tatsächlich
hörte sie nach wenigen Augenblicken eine Stimme. "Mit
wem soll ich verbinden?". Schnell winkte Romina Kinga
zu sich und wies sie an, ihr den Zettel zu zeigen. "Verbinden
sie mich mit der Nummer...."
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Romina wartete, dann meldete sich ein Mann. Ohne sich vorzustellen,
finge er an zu reden. "Fräulein Gordienko, Fräulein
Blech, Sie werden sich um die neuen Studenten kümmern,
die wir ihnen in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten
vorbei schicken werden. Sorgen sie dafür, dass sie sich
hier gut zu Recht finden und machen sie sie mit den hier üblichen
Methoden vertraut. Sie entscheiden, wann die Studenten bereit
sind, bei ihnen einzuziehen. Kein Wort über "Justice",
keine wilden Partys, keine Ausschweifungen. Sie tragen jetzt
die Verantwortung. Die ersten Studenten werden noch in dieser
Woche eintreffe. Wir verlassen uns auf sie". Und dann
legte er auf, ohne dass Romina noch irgendetwas erwidern konnte.
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Und bereits im Verlauf der Woche kamen zwei junge Frauen vorbei
und standen ratlos vor der Baracke. "Nun, dann machen
wir uns mal an die Arbeit", sagte Kinga zu Romina und
die beide traten vor die Hütte. Tabea entsprach sowohl
von ihrer Kleidung, als auch von ihrem Verhalten her, eher
Kinga, deshalb nahm sie sich ihrer an. "Was geht ab?
Du bist also neu hier?", sprach sie Tabea direkt an.
Romina dagegen versuchte es bei Linda erst einmal auf die
höfliche Art.
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Dumm war nur, dass weder Romina und Kinga genau wussten, was
von ihnen erwartet wurde. Wie sollten sie wissen, dass die
beiden jungen Frauen bereit waren hier einzuziehen? Ein Gespräch
konnte auf alle Fälle nicht schaden, also wurden beide
in die Hütte gebeten. Schnell zeigte sich, dass Linda
ein eher verschlossener Mensch war, der sich lieber hinter
einem Buch versteckte und den Kontakt zu Menschen mied. Damit
war sie Romina gar nicht unähnlich, was augenblicklich
eine Verbundenheit zwischen den Mädchen erzeugt. Tabea
war hingegen sehr redselig.
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Sie kam ziemlich direkt darauf zu sprechen, wie sie in diesem
Lager gelandet war. "Meinen Vater hab ich nie kennengelernt.
Wird wohl ein Freier meiner Mutter gewesen sein. Nach meiner
Geburt hat sie für eine kurze Zeit aufgehört anzuschaffen,
aber der Job als Putzfrau war nix für sie. Also begann
sie wieder damit, Männer mit nach Hause zu bringen. Als
ich 11 war, hatte ich keinen Bock mehr darauf, meine Mutter
jeden Morgen betrunken im Bett vorzufinden und sie wieder
aufzupäppeln. Außerdem merkte ich schon damals,
dass ihre Freier viel zu viel Interesse an mir zeigten. Also
bin ich abgehauen, lebte mal auf der Straße, mal im
Heim und mal bei Pflegeltern. Manchmal war‘s gar nicht
übel, aber die kamen nie damit klar, dass ich mir nichts
sagen ließ und ab und an gerne meine Fäuste sprechen
lasse. Tja, und jetzt bin ich hier. Mal schauen, wie lange
es mich hier hält".
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So schnell wirst du hier nicht wegkommen, dachte Kinga, behielt
es aber für sich. Sie hatte ja selbst die Erfahrung gemacht,
dass man nicht so leicht aus diesem Lager verschwinden konnte.
Inzwischen fand sie es aber auch nicht mehr so schlimm hier.
Ihre neue Behausung erlaubte ein recht angenehmes Leben und
isoliert wurden Romina und sie auch nicht mehr länger,
was bedeutete, dass sie sich öfter mal nach dem Unterricht
mit irgendwelchen Kommilitonen treffen konnte. Sogar Pizza
war plötzlich drin, die ab und an am Haus abgestellt
wurde...wenn auch zu unmöglichen Zeiten.
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Die Wochen zogen ins Land und immer wieder kamen neue Anwärter
vorbei. Heidemarie hatte bereits gehört, dass sie aus
ihrer baufälligen Baracke hierher wechseln könne,
wenn Kinga sie aufnahm. Allerdings war dieser immer noch nicht
klar, was genau ein Bewerber erfüllen musste, um aufgenommen
zu werden? Da halfen auch Heidemaries schmeichelnde Worte
nicht.
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Romina begrüßte derweil einen jungen Mann, der
unsicher vor dem Haus auf und ab lief. "Hallo, kann ich
dir helfen?", fragte sie ihn und er blickte sie aus großen,
verschreckten Augen an. "Ich...ich weiß nicht",
stotterte er. "Ich bin so verwirrt. Ich wollte doch nur
zum College und das Angebot dieser Frau hörte sich so
gut an. Keine Studiengebühren, exzellente Ausbildung.
Und jetzt bin ich hier mitten im Wald in Holzhäusern.
Ich darf nicht telefonieren, nicht ins Internet. Was denken
meine Eltern bloß? Sie machen sich bestimmt furchtbare
Sorgen. Ich...ich will hier wieder weg".
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Er drehte sich um und wollte zurück in den Wald rennen,
in die Richtung, aus der er gekommen war. Doch Romina hielt
ihn auf. "Deine Eltern sind beruhigt", log sie.
"Die Leitung hier hat sie über alles in Kenntnis
gesetzt". Natürlich wusste Romina nicht, ob Senora
Ewa oder jemand anderes so etwas getan hatte, aber sie ging
stark davon aus. Wie sonst sollten sie das Verschwinden eines
jungen Mannes verheimlichen können? "Glaub an dich…"
Romina stoppte, weil sie den Namen des verängstigten
Jungen nicht kannte. "Willi, Willi Kaster!", stellte
er sich schnell vor. "Glaub an dich, Willi", Romina
gab ihm die Hand, die er lächeln annahm. "Du kannst
hier sehr viel lernen. Gib nicht auf".
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"Meinst du, wir sollen die Neuen testen, bevor wir sie
aufnehmen?", fragte Kinga, als die beiden nachts in ihren
Betten lagen. "Kann schon sein", entgegnete Romina.
"Wir können es ja ausprobieren". "Gut,
dann übernehme ich Heidemarie". "Und ich Willi",
flüsterte Romina und wurde dabei ein klein wenig rot
im Gesicht.
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