|
|
|
|
|
|
Das wurde ihr so richtig bewusst, als sie in der winzigen
Nasszelle ihres Betonbunkers stand und das warme Wasser auf
ihren Körper niederprasselte. Hajo und sie hatten sich
noch ein Stück weiter von der Gruppe entfernt und sich
auf dem mit Moos bedeckten Waldboden geliebt. Kinga bereute
diese Tat in keinster Weise, auch nicht, als der Alkohol langsam
seine Wirkung verlor. Partys, Rauschmittel und Männer,
mehr als diese drei Dinge brauchte sie nicht, um glücklich
zu sein und sie schämte sich nicht dafür.
|
|
|
|
|
Hajo war ganz sicher nicht Kingas große Liebe. Irgendwie
gehörte dieser Platz immer noch Alex, auch wenn sie ihren
Freund, oder sollte sie lieber sagen Ex-Freund, gut genug
kannte um zu wissen, dass er nicht lange getrauert hat und
sicher schon eine Neue hatte. Sie konnte es ihm nicht einmal
verübeln. Schließlich würde sie mit Hajo auch
ihren Spaß haben, ganz egal, ob sie ihn nun liebte oder
nicht. Doch als sie am übernächsten Tag das Klassenzimmer
betrat, stellte sie verwundert fest, dass von Hajo weit und
breit keine Spur zu sehen war. Und auch Rabea war nirgends
zu entdecken.
|
|
|
|
|
|
|
Sie fragte ihre Kommilitonen, doch keiner konnte, oder wollte,
ihr sagen, wo Hajo und Rabea waren. Von Jasmin wusste sie,
dass sie mit den beiden in einer Baracke lebte. Sie musste
doch wissen, wo die beiden waren und so bettelte sie so lange,
bis Jasmin ihr schließlich doch eine Antwort gab. "Ich
weiß auch nichts genaues, aber ich hab durch den Türspalt
zufällig mitbekommen, wie Rabea ihre Sachen packte. Ich
fürchte, die beiden sind irgendwo anders hin gebracht
worden, aber ich habe keine Ahnung wohin". Das Entsetzen
war Kinga deutlich ins Gesicht geschrieben, als sie diese
Worte hörte.
|
|
|
|
|
|
|
Kinga spürte instinktiv, dass Jasmin die Wahrheit sagte.
Hajo und Rabea waren weg. Und Kinga kannte auch den Grund
dafür. Irgendwer muss den Aufsehern von der Party auf
der Waldlichtung erzählt haben. Irgendwer muss sie verpetzt
haben. Und was Kinga besonders belastete war der Gedanke,
dass im Grund sie der Auslöser gewesen war. Solche Partys
hatten schon öfter statt gefunden und bis jetzt war nie
etwas passiert. Doch kaum war sie mit dabei, verschwanden
zwei Menschen und ausgerechnet die beiden, mit denen sie sich
am besten verstand. Das konnte kein Zufall sein. Irgendwer
war ganz und gar nicht damit einverstanden, dass sie ihre
Zeit mit Feiern und Männern verbrachte. Das Verschwinden
von Hajo und Rabea waren sicherlich eine Warnung.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Rabea und Hajo tauchten nicht mehr auf. Der Sommer verstrich
und es begann bereits, merklich kühler zu werden. Mit
jedem Tag wechselte das satte Grün des Waldes mehr zu
einem Farbenspiel aus Rot und Gelb. Kinga hatte sich damit
abgefunden, dass es ihr nicht gestattet war, ihre Zeit hier
mit etwas anderem als der Schule zu verbringen. Und um sich
gar nicht erst in Versuchung zu bringen, mied sie den Kontakt
zu ihren Mitschülern. Sie ging zur Schule, machte ihre
Aufgaben. Der einzige Luxus, den sie sich gönnte, waren
die von Hass erfüllten Gedanken an ihre Mutter vor dem
Einschlafen. Und so hätte ihr Leben noch Monate lang
weiter gehen können, wäre sie eines Tages nicht
in ihren Bunker heimgekehrt und hätte plötzlich
ein zweites Bett darin vorgefunden.
|
|
|
|
|
|
Zunächst war sie geschockt. Der Bunker war für eine
Person schon fast zu klein, wie sollte es dann erst mit zwei
Menschen funktionieren? Bevor sie sich weitere Gedanken machen
konnte, hörte sie schon das Quietschen des Tores und
sie schaute durch die Tür. "Hallo, Kinga",
begrüßte Olek sie. "Du hast sicher schon gemerkt,
dass du eine Mitbewohnerin erhältst. Das hier ist Romina".
Er zeigte auf ein junge Frau Anfang Zwanzig, die sich schüchtern
hinter dem Tor versteckte.
|
|
|
|
|
|
|
|
Kinga wollte noch protestieren, aber Olek stellte einfach
Rominas Koffer in den Bunker und verschwand wieder, so wie
er es immer tat. Kinga konnte nicht verbergen, dass sie keineswegs
froh war, dass diese Fremde nun ihre Unterkunft mit ihr teilen
sollte. Unsicher beobachtet Romina, wie Kinga sich frustriert
die Haare raufte und sich mit den Handflächen gegen die
Stirn schlug. Auch sie hätte sich ihre Ankunft gerne
anders vorgestellt.
|
|
|
|
|
|
Kinga hatte keine Lust sich mit Romina zu beschäftigen
und ignorierte sie den kompletten ersten Abend lang. Sie legte
sich einfach ins Bett und Romina tat es ihr schweigend gleich.
Ebenfalls schweigend machten sie sich auf den Weg zur Schule
und schwiegen sich auch auf dem einstündigen Rückweg
an. Erst als sie wieder am Bunker waren, war Kinga bereit,
sich ihrer neuen Mitbewohnerin zu öffnen. Sie setzte
sich aufs Gras und machte Romina deutlich, dass sie dies auch
tun sollte. "Ich bin Kinga", stellte sie sich zum
ersten Mal richtig vor. "Ich weiß", antwortet
das Mädchen schüchtern und klammerte sich an ihrem
Knie fest. "Olek hat es mir erzählt. Es tut mir
leid, dass ich dir Unannehmlichkeiten bereite. Das wollte
ich nicht".
|
|
|
|
|
|
Kinga war überrascht, dies zu hören. Sie hatte sich
bis jetzt noch gar keine Gedanken darüber gemacht, dass
dieses Mädchen mit der Wohnsituation genau so unglücklich
sein könnte wie sie. "Und was hast du angestellt,
dass du in diesem Drecksloch gelandet bist? Diebstahl? Drogen?
Knast?", fragt Kinga, nun da ihr Interesse geweckt war.
Romina schüttelte entsetzt den Kopf. "Ich habe gar
nicht gemacht", beteuerte sie. "Ich bin sogar sehr
froh, dass ich hier sein darf. Ich bin in einem Weisenhaus
in Moldawien aufgewachsen und vor einigen Tagen kam eine sehr
nette Frau zu mir und teilte mir mit, dass meine Schulleistungen
so gut seien, dass ich in ein spezielles Förderprogramm
in der SimNation aufgenommen werde. Ich bin hier um zu lernen".
|
|
|
|
|
|
|
Kinga wusste selbst nach Monaten noch nicht, was sie eigentlich
hier machte. Aber wenn eines klar war, dann dass das hier
kein Förderprogramm für hochbegabte Waisenkinder
aus Moldawien war. Aber sie sie entschied sich, dies ihrer
Mitbewohnerin nicht mitzuteilen. Erstens würde sie ihr
wahrscheinlich eh nicht glauben und zweitens spielte es auch
keine Rolle. Sie waren nun hier und kamen nicht weg. Ändern
ließ es sich so oder so nicht.
|
|
|
|
|
|
|
Sie unterhielten sich noch bis tief in die Nacht. Auf Kinga
erzählte Romina ihre Geschichte, wie sie von ihrer Mutter
jahrelang belogen und um den Vater gebracht worden war und
wie sehr ihre Mutter sie hasste und sie hierher bringen ließ.
Romina war bestürzt, allerdings hauptsächlich über
die Wut, die sie aus der Stimme ihrer Mitbewohnerin heraus
hörte. Sie war nämlich nach wie vor dankbar, endlich
dem Waisenhaus entkommen zu sein und auf eine bessere Zukunft
hoffen zu können. Jeweils in ihre eigenen Gedanken versunken
schliefen die beiden Mädchen ein.
|
|
|
|
|
|
|
|
Auch in der Lehrbaracke änderte sich mit dem Eintreffen
von Romina für Kinga so Manches. Prof. Elena bat die
beiden, nach dem Unterricht noch zu bleiben. "Ihr werdet
ab morgen Sonderunterricht bekommen", verkündete
sie. "Kinga, welche Sprachen sprichst du?". "Simlisch,
Englisch und etwas Polnisch", antwortete diese. "Und
du, Romina?", fragte Professor Elena weiter. "Rumänisch,
Russisch und Simlisch". "Ihr werdet in all diesen
Sprachen ab jetzt gemeinsamen Unterricht erhalten. Ich erwarte,
dass ihr euch gegenseitig unterstützt. Zusätzlich
werdet ihr Spanisch und Französisch lernen. Kinga",
fuhr Prof. Elena fort, "du wirst nur noch den Politik-
und Erdkundeunterricht besuchen. Romina, du kommst zu Mathematik
und Physik. Das war dann alles."
|
|
|
|
|
|
|
Der Sprachunterricht dauerte oft bis in den späten Abend.
Und er unterschied sich stark von dem, was Kinga aus der Schule
kannte. Professor Rainer war alles andere als Zufrieden mit
den bereits vorhandenen Kenntnissen und so musste Kinga, aber
auch Romina, noch einmal ganz bei Null beginnen. Und nicht
nur, dass Prof. Rainer extremen Wert auf Grammatik legte,
noch viel wichtiger war ihm die Aussprache, mit der er nie,
aber auch nie, zufrieden schien, egal wie sehr Kinga sich
auch bemühte.
|
|
|
|
|
|
|
Und dann gab es da auch noch diese ganz seltsamen Lektionen
in Billard, Darts und Glücksspiel. "Kinga, ich sehe
auf den ersten Blick, dass du kein gutes Blatt hast",
musterte Prof. Elena sie scharf. "Du hast immer noch
nicht gelernt, wie man richtig blufft. Wir üben das nun
schon seit Wochen!" Es war nicht so, dass Kinga sich
keine Mühe gegeben hätte. Aber die Schauspielerei
war ihr offenbar nicht in die Wiege gelegt worden. Und zum
anderen verstand sie beim besten Willen nicht, was das ganze
sollte. Warum zum Teufel sollte sie Pokern können?!
|
|
|
|
|
|
|
Sie war froh, als sie nach weiteren 1 1/2 Stunden voller Zurechtweisungen
von Prof. Elena die Baracke verlassen konnte. Wutgeladen schnappte
sie sich eine Axt und schleuderte sie, begleitet von einem
Schrei, der den Tiefen ihrer Seele entsprang, auf die hölzerne
Zielscheibe. "Ich verstehe nicht, was diese Scheiße
soll!", schnaubte sie und warf die nächste Axt und
Fluchte lautstark, als sie die Zielscheibe gerade eben traf.
"Wir ackern, packen hier wie bescheuert hundert Sprachen
auf einmal, knobeln an hirnrissigen Rätseln und spielen
Poker! Und keiner erklärt uns, was das ganze soll. Also
ich hab langsam echt die Schnauze voll!"
|
|
|
|
|
|
"Nun, dann sollst du deine Erklärung bekommen".
Kinga zuckte panisch zusammen und ließ vor Schreck fast
die Axt fallen. Sie hatte nicht bemerkt, wie die rothaarige
Frau zu Romina und ihr herüber geschritten war und sie
bereits eine ganze Weile beobachtet und belauscht hatte.
|
|
|
|
|
|
|
Der ersten Überraschung folgte sogleich die zweite. Kinga
stellte langsam die Axt ab und betrachtete eingehend die Frau,
die vor ihr stand. War das möglich? Konnte es sein, dass..."Tante
Ewa?", fragte sie schließlich. Die Frau vor ihr
zog kaum merklich die Mundwinkel hoch, was wohl ein Lächeln
andeuten sollte. "Ab heute bin ich für dich nur
noch Senora Ewa. Wir mögen verwand sein, aber für
solche Gefühlsduselei ist hier kein Platz". Kinga
konnte es immer noch nicht fassen. Vor ihr stand ihre Großtante,
die Schwester ihres Großvaters Arkadiusz Brodlowski.
|
|
|
|
|
|
|
Bevor Kinga etwas erwidern konnte, kam auch schon Romina auf
die beiden zu. "Diese Frau...diese Frau ist deine Tante?"
fragte sie ungläubig. "Es war nämlich sie,
die mich aus dem Weisenhaus in Moldawien geholt hat. Senora
Ewa, ich möchte ihnen dafür danken, tausend Mal!
Ich bin so froh, dass ich hier sein darf". Wieder zuckten
die Mundwinkel der Frau leicht nach oben. "Du brauchst
mir nicht zu danken, Romina. Du wirst Gelegenheit bekommen,
uns deine Dankbarkeit zu erweisen...und zwar schon in kürze".
|
|
|
|
|
|
|
|
|