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Ich raste nach Seda Azul. Ich konnte nicht einmal mehr sagen, wie viele Geschwindigkeitsschilder ich einfach ignoriert hatte. Dabei wusste ich nicht einmal, was ich Albert sagen wollte, wenn ich ihn sah. Das einzige was ich wusste war, dass ich ihn jetzt sehen musste. Und trotzdem zitterten meine Knie als ich mich seinem Bett nährte. Da lag er und schaute entspannt aus dem Fenster, doch als er meine Schritte hörte, drehte er sich zu mir um. Und auf seinem Gesicht zeigte sich dieses Lächeln, dem ich schon bei unserer ersten Begegnung verfallen war. "Da bist du ja endlich, Oxana", sagte er mit kräftiger, tiefer Stimme und mein Herz schmolz dahin.


Ich konnte nicht anders, als auf ihn zuzulaufen und ihm und den Hals zu fallen. Vergessen waren meine ehrbaren Vorsätze, ihn Gerda zuliebe aufzugeben. Stattdessen brach ich in Tränen aus und weinte all den Schmerz, all die Trauer und all die Angst der letzten zwei Wochen an seiner Schulter aus. "Ist ja gut", flüsterte Albert immer wieder und strich mir tröstend über den Rücken. "Alles ist wieder gut, Liebling. Ich bin ja bei dir. Ich werde dich nie wieder verlassen".


Er hielt mich minutenlang in seinen Armen. Sein Nachthemd war schon durchtränkt von meinen Tränen, doch es störte ihn nicht. Und mich auch nicht. Ich wollte nur bei ihm sein, seine Wärme spüren. Schließlich versiegten meine Tränen und ich richtete mich wieder auf. Sanft wischte er mit seiner großen Hand die letzte Träne von meiner Wange. Ich wollte diesen Augenblick genießen, doch mein Gewissen erlaubte mir nicht mehr als diese wenigen kurzen Minuten des Glücks. "Du darfst Gerda nicht verlassen", erklärte ich bestimmt. "Sie braucht dich jetzt. Alleine schaff....". "Psssst...". Albert legte seinen Finger auf meine Lippen. "Oxana, ich liebe nur dich. Und Gerda weiß das. Sie hat mich frei gegeben. Wir hatten schon lange Probleme und wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis einer von uns ging. Sie weiß von uns Oxana. Ich habe es ihr noch vor dem Unfall gesagt. Dieses Wochenende in den Bergen sollte einfach nur ein Abschied sein".


"Gerda weiß es?". Ich musste mich verhört haben. "Aber sie hat nie etwas gesagt. Wir haben die letzten Tage so viel Zeit miteinander verbracht und sie hat nie auch nur etwas angedeutet. Sie müsste mich hassen". "So ist Gerda aber nicht, Oxana. Sie mag dich. Wie soll man dich auch nicht mögen?". Ich schaute scheu in seine Augen und erkannt darin so viel Liebe. "Sie möchte, dass wir glücklich werden, Oxana. Denn sie und ich sind es schon lange nicht mehr".


"Oh, Albert, ich liebe dich so sehr". Wieder fing ich an zu weinen, aber diesmal waren es reine Freudentränen. Endlich habe ich zu Albert gefunden. Weder der Unfall, noch Gerda oder Dominik konnten uns trennen. Wir würden zusammen glücklich werden. Er zog mich zu sich heran und küsste mich. "Nichts wird uns jemals wieder auseinander bringen, Oxana. Ich möchte für immer mit dir zusammen bleiben". "Versprichst du mir das?". "Ich verspreche es".


"Bringst du mir einen ordentlichen Kaffee mit", fragte Albert nachdem wir lange Arm in Arm auf seinem schmalen Krankenhausbett gelegen hatten und über unsere gemeinsame Zukunft sprachen. "Die Schwestern geben mir hier immer nur so einen wässrigen Tee". Ich gab ihm einen dicken Kuss, bevor ich vom Bett hüpfte und runter in die Cafeteria fuhr. Er wollte mit mir zusammen ziehen, sobald er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Mein Herz machte Luftsprünge. Ich hatte das wirklich nicht mehr für möglich gehalten. Nach diesem Unfall dachte ich, alles wäre vorbei und jetzt wendete sich alles zum Guten. Ich würde noch mit Dominik reden müssen, aber diese letzte Hindernis erschien mir im Moment so winzig klein, dass es meine Freude nicht trüben konnte.


"So da bin ich wieder", verkündete ich während ich die Tür zu Alberts Zimmer mit meinem Fuß aufstieß und mich bemühte, nichts von dem Kaffee zu verplempern. "Ich hab dir auch einen extra starken mit viel Koffein mitgebracht". Plötzlich bemerkte ich die Schwester, die sich aufgeregt an den Geräten an Alberts Bett zu schaffen machte. Dann drehte sie sich um und lief auf die Tür zu. "Julia, ruf sofort Dr. Mycin", rief sie ihrer Kollegin im Gang zu, ohne auch nur Notiz von mir zu nehmen. Da erst viel mein Blick auf Albert. Sein ganzer Körper zuckte unkontrolliert und seine Augen verdrehten sich.


Dann wurde ich zur Seite gedrängt, als Dr. Mycin und eine weitere Schwester in das Zimmer gestürmt kamen. Die erste Schwester erklärte dem Arzt irgendetwas und der gab wiederum Anweisungen an die zweite Schwester. In meinem Kopf vermischten sich die Stimmen zu einem großen, undeutlichen Gewirr. "Albert?", flüsterte ich so heiser, dass man es kaum hören könnte. Und dann drang dieses furchtbare Geräusch an mein Ohr.


Dieses Piepen des Herzmonitors, das immer lauter wurde und immer schneller aufeinander folgte. Der Kaffeebecher rutschte aus meiner Hand und der braune Inhalt verteilte sich auf den weißen Fliesen. "Nein! Nein!", wiederholte ich immer wieder und wich ängstlich zurück. Das könnte nicht wahr sein. Das musste ein schrecklicher Alptraum sein. Ein lang gezogener Piepton! Das Summen von sich aufladenden Kondensatoren drang an mein Ohr, dann das "Alle zurücktreten" aus Dr. Mycins Mund. Alberts Körper hob sich vom Bett. Immer noch dieses Piepen! "300 Volt". Ein weiteres Aufzucken seines Körpers. Doch der Piepton blieb. Dieser furchtbare Piepton!

 

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