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Aber auch das musste warten. Als ich in Gerdas Zimmer trat, lag
sie nicht wie erwartet im Bett, sondern lächelte mich glücklich
aus einem Rollstuhl an. "Schön, dass du gekommen bist
Oxana". Obwohl ihr Gesicht immer noch schlimm zugerichtet
war, strahlte sie förmlich und ihre Freude übertrug
sich auch auf mich. "Endlich bin ich nicht mehr an das Bett
gefesselt". Sie rollte vergnügt vor und zurück.
Ich war erstaunt, wie fröhlich sie wirkte, allerdings beschlich
mich der Gedanke, dass es mehr Show war, als wahre Freude. Wer
war schon glücklich darüber, im Rollstuhl sitzen zu
dürfen?
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"Lass uns in den Krankenhaus-Garten gehen", schlug Gerda
vor, bevor eine unangenehme Pause aufkommen konnte, in der womöglich
ihre wahren Gefühle zu Tage kämen. Ich tat ihr den Gefallen
und schob ihren Rollstuhl zunächst in den Fahrstuhl und anschließend
die kleine Rampe hinunter, die in die Parkanlage hinter der Klinik
führte. "Es ist so schön, wieder die Sonne auf
der Haut zu spüren", bemerkte Gerda und streckte ihr
geschundenes Gesicht den warmen Sonnenstrahlen entgegen. Aber
es war wirklich ein herrlicher Frühlingstag. Die Temperatur
lag noch bei angenehmen 24 °C und vom Meer wehte ein frischer
Wind und man konnte die Wellen selbst hier noch hören.
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Der plätschernde Brunnen hatte es Gerda besonders angetan
und sie bat mich, sie direkt in seine Nähe zu schieben. Gerda
erkundigte sich nach den Kindern und ich versicherte ihr, dass
es allen vier gut ginge. Von Hans erzählte ich ihr zunächst
nichts, zumindest nicht solange, wie ich nicht mit ihm gesprochen
hatte. Doch dann musste ich mich einfach nach ihrem Wohlergehen
erkundigen. "Sei ehrlich zu mir Gerda, wie fühlst du
dich?"
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Sie senkte ihren Blick und die Traurigkeit spiegelte sich in ihrem
Gesicht wieder. Da war sie also, die tief getroffene Gerda, die
ich eigentlich erwartet hatte, als ich heute in das Krankenhaus
kam. "Wie soll es mir schon gehen?", fragte sie leise
und ein Hauch von Bitterkeit klang in ihrer Stimme mit. "Ich
werde nie wieder laufen können. Und mein Mann liegt immer
noch im Koma. Die Ärzte haben sein künstliches Koma
schon vor zwei Tagen beendet und er ist immer noch nicht aufgewacht.
Und daheim warten vier Kinder auf mich, 137 ha Land die bestellt
werden müsse. Es geht mir nicht gut Oxana. Am liebsten würde
ich den ganzen Tag nur weinen. Aber das kann ich mir nicht erlauben.
Ich muss nach vorne Blicken und hoffen, dass sich alles wieder
zum Guten wendet".
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Eigentlich war das genau die Antwort, die ich erwartet hatte.
Aber erst als ich die Worte aus ihrem Mund hörte, wusste
ich, dass Gerda tatsächlich nur Millimeter davon entfernt
war, in ein tiefes Loch aus Wut, Trauer und Schmerz zu fallen.
Sie brauchte jetzt jede Hilfe, die sie bekommen konnte. Sie brauchte
meine Hilfe. Wenn ich noch die Hoffnung gehabt hatte, dass ich
eine Zukunft mit Albert haben könnte, sobald er wieder aufwacht,
so begrub ich sie spätestens jetzt. In meinem Leben hatte
ich alles, bis auf den Mann an meiner Seite, den ich liebte. Das
tat weh, aber ich würde es überstehen. Gerda dagegen
war gerade im Begriff, alles zu verlieren.
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Ich schob Gerda noch eine ganze Weile im Klinikpark herum. Schließlich
führte ich sie zu einem Schachbrett und schlug vor, eine
Runde zu spielen. Gerda stimmte zwar zu, mit ihren Gedanken war
sie aber nicht dabei. "Ich möchte, dass du meine Kinder
auf dem Internat hier in Seda Azul anmeldest", platzte sie
ohne Vorwarnung heraus. Über diese Möglichkeit hatten
wir bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gesprochen. "Sieh mich
nicht so überrascht an, Oxana. Es wird noch Wochen oder Monate
dauern, bis Albert oder ich wieder auf Norman leben können.
Du kannst doch nicht so lange auf die vier Aufpassen. Du hast
dein eigenes Leben. Ich denke, es ist das Beste, wenn sie aufs
Internat gehen. Außerdem hätten wir die vier dann auch
gleich in unserer Nähe".
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"Ich bin müde, Oxana", sagte Gerda, nachdem wir
unsere Schachpartie beendet hatten und bat mich, sie zurück
in ihr Zimmer zu bringen. Sie wollte ausgeruht sein, wenn die
Kinder sie am Abend besuchten. Danach musste ich noch eine Sache
tun. Ich musste mich von Albert verabschieden. Doch schon als
ich ihn nur aus weiter Entfernung im Bett liegen sah, schwanden
all meine guten Vorsätze. Ich wusste, wenn ich nur einen
Schritt weiter ginge, dann würde ich meinen Entschluss, ihn
gehen zu lassen, nicht aufrechterhalten können. Also blieb
ich im Türrahmen stehen und hauchte ihm einen letzten sehnsüchtigen
Handkuss zu.
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"Was ist eigentlich ein Intantat?", fragte Elvira ihre
ältere Schwester. Die Kinder waren gestern noch im Krankenhaus
gewesen und Gerda hatte sie davon unterrichtet, dass alle vier
so schnell wie möglich in das Internat in Seda Azul sollten.
Elvira hatte da schon nicht verstanden, was das eigentlich heißen
sollte, sie wollte die Älteren aber nicht mit ihren blöden
Fragen unterbrechen. "Internat! Das ist eine Schule, wo wir
gleichzeitig auch wohnen würden", erklärte Desdemona.
Elvira nickte zufrieden und aß weiter. Doch dann wurde ihr
bewusst, was das heißen sollte. "Kann ich dann nicht
mehr hier in Siera Simlone Stadt zur Schule gehen", fragte
sie entsetzt und ihr kleines Gesicht wurde noch viel unglücklicher,
als Desdemona betrübt nickte.
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Auch keiner der drei älteren Geschwister war begeistert davon
gewesen, die Schule wechseln zu müssen. Und in ein Internat
wollte die drei schon gar nicht. Dennoch hatten sie dem Vorschlag
ohne zu klagen zugestimmt, denn im Grunde wussten sie, dass es
ein vernünftiger Entschluss war. Ich konnte wirklich nicht
für immer bei ihnen bleiben. Und dennoch, glücklich
war niemand. Insbesondere Miranda viel es schwer. So kurz vor
dem Abitur die Schule zu wechseln, war nicht gerade das optimale.
Viel wichtiger war aber, dass ihr jetzt nicht einmal mehr die
letzten wenigen Wochen mit Vladimir blieben.
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Hans ging mir derweil aus dem Weg. Ich konnte es irgendwo verstehen,
trotzdem wollte ich mit ihm über das reden, was ich gestern
gesehen hatte. Vorsichtig klopfte ich an seine Zimmertür
und trat herein, als ich seine grummelnde Zustimmung dazu erhielt.
Er sah nicht zu mir auf, sondern arbeitete weiter stur an seinen
Schulaufgaben. Ich wusste nicht genau, wie ich beginnen sollte,
als stürmte ich gleich mit der Tür ins Haus. "Wenn
du für Mika mehr empfindest, als bloße Freundschaft,
dann ist das nichts Schlimmes. Es ist in Ordnung, wenn ein Junge
einen anderen Jungen liebt. Niemand wird dich dafür verurteilen".
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Hans Reaktion war nicht die, die ich erwartet hatte. Wütend
sprang er von seinem Stuhl auf und schrie mich an. "Ich bin
nicht schwul! Und es ist überhaupt nicht in Ordnung, wenn
ein Mann einen anderen Mann liebt. Das ist eklig und nicht normal.
Und so bin ich nicht. Mama und Papa würden mich hassen. Und
auch die Kirche sagt, dass es falsch ist. Glaubst du, dass ich
in die Hölle kommen möchte? Ich bin nicht schwul!".
Dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und schrieb
wütend in sein Heft. Als dann auch noch sein Kugelschreiber
aufhörte zu schreiben, schmiss er ihn voller Zorn gegen die
Wand. So einfach würde ich nicht an Hans herankommen.
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Ich ließ ihn allein. Alles andere hätte jetzt ohnehin
keinen Sinn gemacht. "Glaubst du, dass ich in die Hölle
kommen will?". Diese Worte hallten immer wider in meinem
Kopf, als ich einen Blick auf das große Kreuz an der Wand
warf. leider vergaß ich nur all zu schnell, dass die Kirche
eine sehr uneinsichtige Haltung zur Homosexualität hatte.
Und Gerdas christliche Erziehung hatte bei den Kindern sicher
ihre Spuren hinterlassen. Auch ich glaubte an die Kirche und an
ihren Grundsatz der Nächstenliebe. Deshalb verstand ich ihre
Haltung gegenüber zwei Menschen, die sich über alles
liebten, aber zufällig dasselbe Geschlecht hatten, nicht.
In diesem Punkt musste die Kirche sich irren. Gott würde
einen Menschen nicht dafür bestrafen, dass er einen anderen
Menschen liebte. Davon war ich überzeugt.
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Jetzt musste ich nur noch Hans davon überzeugen. Also ging
ich rüber in die Simlane und kramte in einem alten Fotoalbum.
Und ein Bild meiner Familie fiel mir dabei in die Hände.
Es war ein altes Bild. Ein Bild aus glücklichen Tagen. Paps
und Dad wirkten so verliebt darauf. Leider hatte das Bild auch
einen üblen Nachgeschmack für mich, weil ich wusste,
dass Dad Paps zu diesem Zeitpunkt bereits betrog. Aber Hans würde
das nicht wissen. Er würde zwei glückliche Männer
sehen. Ich nahm das Bild aus dem Fotoalbum und ging zurück
zu Alberts Haus. Dann ging ich in Hans Zimmer und legte das Foto
auf seinen Schreibtisch. "Das sind meine Eltern", erklärte
ich. "Zwei Männer, die sich liebten. Und Paps",
ich zeigte mit dem Finger auf den braunhaarigen Mann, "war
der religiöste Mensch, denn ich kannte. Ich habe keinen Zweifel
daran, dass er jetzt bei Gott im Himmel ist".
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Er schaute sich das Foto lange an. Dann stand er auf und starte
aus dem Fenster. "Du hattest wirklich zwei Väter?",
fragte er ungläubig. "Ja", antwortete ich glücklich
darüber, dass er sich endlich auf ein Gespräch mit mir
einließ. "Ich wurde von zwei Männern großgezogen
und du kannst mir glauben, in der Beziehung meiner Eltern gab
es Höhen und Tiefen, wie in jeder anderen Beziehung auch.
Klar ist es nicht der Normalfall, wenn zwei Männer sich lieben.
Aber wenn sie es tun, dann ist diese Liebe nicht weniger wert,
als eine Liebe zwischen einem Mann und einer Frau". Hans
sagte nichts dazu. Ich wusste, dass es noch lange dauern würde,
bis er zu seinen Gefühlen stehen konnte. Solche Dinge brauchten
einfach Zeit.
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Noch am selben Tag rief ich im Internat von Seda Azul an, um die
Aufnahme der Kinder zu ermöglichen. Der Direktor der Schule
verstand die Notsituation und zog deshalb in Erwägung, die
Vier tatsächlich mitten im Schuljahr in seinem Internat aufzunehmen.
Aber zunächst wollte er sich ein persönliches Bild machen.
Also lud ich ihn zum Abendessen ein. Auf diese Weise konnte er
Alberts vier Kinder am besten kennen lernen.
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Das Internat war eine private Einrichtung, die ihre Schüler
sorgfältig auswählte. Es würde Albert und Gerda
eine ganze Stange Geld kosten, die vier dort unter zu bringen.
Aus diesem Grund war es auch wichtig, einen besonders guten Eindruck
bei Direktor Jacoby zu hinterlassen. Als Hauptgericht sollte es
einen gefüllten Truthahn geben, denn ich dummerweise noch
nicht ganz fertig zubereitet hatte, als Herr Jacoby klingelte.
Und das Desdemona gerade ihre Ausdauer auf dem Wohnzimmersofa
trainierte war auch nicht gerade förderlich.
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Das Essen wurde aber rechtzeitig fertig und in der Zwischenzeit
zeigte die kleine Elvira dem Direktor ihre Ferkel. Dieser schien
von dieser Rundführung über den Hof sichtlich erfreut
zu sein. Beim Essen fragte er die Kinder dann zu ihren Noten aus,
die glücklicherweise bei allen recht gut waren. Zumindest
aus schulischer Sicht sprach nichts dagegen, die vier in seinem
Internat aufzunehmen.
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Etwas entsetzt war ich dann aber über die Tischmanieren von
Herrn Jacoby. Er schlang sein Essen förmlich herunter, sodass
Stücke des Essens wild in der Gegend herumflogen. Ich fühlte
mich zwar geschmeichelt, dass mein Essen im so gut schmeckte,
aber ich warf Hans und Desdemona trotzdem einen irritierten Blick
zu, den die beiden nur Achselzuckend erwiderten.
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Nach dem Essen verzogen sich Kinga und Elvira gleich in ihr Bett.
Die ständige Fahrt zum Krankenhaus nach Seda Azul machte
Elvira immer so müde. Deshalb könnte ich dem Direktor
das Zimmer der Mädchen nur mit einer kleinen Bewohnerin im
Bett zeigen. Erstaunlicherweise zeigte der Direktor sich sichtlich
beeindruckt. "Das Haus ist mit so viel Liebe eingerichtet",
bemerkte er entzückt. "Alles ist zwar einfach, aber
es wirkt so familiär und freundlich."
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