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Am besten gar nicht, entschied ich mich. Wir wussten doch selber nicht genau, was mit Albert und Gerda passiert war, und es machte doch keinen Sinn die Kleine zu verunsichern. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie Dad meinen Paps, meine Schwester und mich verlassen hatte, als ich gerade sieben war. Dieses Gefühl war einfach nur schrecklich, insbesondere, da es mich damals so unvorbereitet getroffen hatte. Das wollte ich Elvira ersparen solange ich es konnte. "Wir haben nur ein Überraschung für dich und sind deshalb so still", flunkerte ich. Elviras Augen begannen erwartungsvoll zu leuchten, während Alberts drei andere Kinder mich neugierig musterten. "Ich werde für ein paar Tage bei Euch bleiben und Kinga kommt auch mit. Dann könnt ihr beide den ganzen Tag zusammen spielen."


"Kinga kommt wirklich hierher!", kreischte Elvira und sprang von ihrem Stuhl. "Dann können wir ja ganz viele Sachen zusammen machen. Oh, dass wir so toll. Dürfen wir auch lange aufbleiben, Tante Oxana? Und dürfen wir uns Popcorn machen? Dürfen wir, dürfen wir?" Die Kleine freute sich wirklich riesig und mir fiel ein Felsbrocken vom Herzen. Und auch Hans zufriedener Gesichtsausdruck zeigte mir, dass er mit meiner Idee einverstanden war. Und Elviras fröhliche Art ließ uns zumindest für eine Weile unsere Sorgen vergessen.

 

 


Ich rief auch gleich bei Dominik an und bat ihn, Kinga zu den Kappes zu bringen. "Ich erkläre dir alles, wenn du hier bist", versicherte ich ihm und eine viertel Stunde später standen meine Tochter und Dominik vor Alberts Haus. Elvira kam laut schreiend auf Kinga zugelaufen, als sie sie erblickte und die beiden Mädchen schlossen sich überschwänglich in die Arme. Dabei störte es King auch nicht im Geringsten, dass Elvira noch den Ferkeln im Schweinestall Gute Nacht sagen musste und auch dementsprechend roch, weil jedes Ferkelchen eine liebevolle Umarmung von der Jungbäuerin brauchte.


"Und jetzt sag schon, Brodlowska, was ist hier eigentlich los?", verlangte Dominik eine Erklärung. "Du hast dich heute Morgen...seltsam verhalten, wenn ich das so ausdrücken darf. Und dann bist du so überstürzt zu den Kappes gefahren. Und jetzt soll ich auch noch Kinga hierher bringen. Ich will ein paar Antworten". Und die gab ich ihm, zumindest auf einige seiner Fragen. Ich erzählte ihm, dass Albert und Gerda verschwunden waren und dass ich die Kinder nicht alleine lassen konnte. Auch wenn Miranda auf dem Papier schon erwachsen war, so war sie in dieser Situation genauso sehr ein Kind wie ihre übrigen Geschwister.


"Ich mache mir furchtbare Sorgen um Albert...und Gerda", fügte ich hastig hinzu und hoffte, dass Dominik meinen Versprecher nicht bemerkt hatte. "Was, wenn den beiden wirklich etwas passiert ist?" "Mach dir keine Sorgen über deine Freundin, Brodlowska", tröstete er mich und schloss mich in seine starken Arme ein. "Gerda geht es sicher gut. Diesen dürren Kaktus kriegt so schnell nichts klein und Albert muss auch ein zäher Bursche sein, wenn er es so lange mit ihr aushält. Wahrscheinlich hatte die beiden einfach genug von ihren vier Nervensägen zuhause und tauchen in ein paar Tagen wieder auf." Das war so typisch Dominik. Selbst in einer so ernsten Lage schaffte er es, aus allem einen Scherz zu machen und auch noch seine wenig schmeichelhafte Meinung über Gerda loszuwerden. Aber über die Jahre hatte ich mich so an seine Art gewohnt, sodass ich in seinen Worten tatsächlich Trost fand.


Dominik blieb noch eine ganze Weile und wir saßen auf der Treppe der Veranda und unterhielten uns. Ich fühlte mich bei ihm geborgen. Geborgen wie bei einem älteren Bruder, der seine kleine Schwester tröstet und genau da lag das Problem. Denn er sah in mir nicht seine kleine Schwester, sondern die Frau an seiner Seite. Doch für mich war Albert der Mann an meiner Seite. Und der Gedanke ihn zu verlieren hielt mich bis tief in die Nacht wach. Doch schließlich fiel ich doch in einem unruhigen Schlaf.

 



Ein Song spielt im Radio, Dolly Parton mit "I will always love you". Der Schotter knistert unter den Reifen des Wagens. Die beiden Insassen unterhalten sich. Über das Wetter, die Arbeit, den gemeinsamen Ausflug. Dann ein Knall. Das Auto gerät ins Taumeln. Die Frau schreit, der Mann versucht den Wagen wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch er schafft es nicht. Das Auto schießt über den Abgrund hinaus und fällt und fällt und fällt…

 

 


Schweißgebadet schreckte ich aus meinem Traum hoch. Mein Herz raste und ich hatte Probleme, wieder ruhig zu atmen. Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass es nur ein Traum war. Aber dieser Traum war so realistisch. Ich konnte alles genau sehen, hören, ja sogar die Hitze im Auto spüren. Nach einigen Minuten sackte ich wieder auf das Kopfkissen zurück. Meine Augen schloss ich aber nicht mehr, aus Angst, erneut zu träumen.

 

 


"Angel, verdammt, du hast gerade meinen letzten Donut aufgegessen." "Konzentrier dich lieber aufs fahren, Ramoz. Außerdem siehst du schon selber wie ein Donut aus. Was sagt den deine Juanita dazu?" " Halt lieber deine Klappe Junge und halt Ausschau nach diesem vermissten Auto. Deswegen sind wir schließlich hier." "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass das vermisste Paar die alte Piste hier genommen hat. Die sind bestimmt über die neue Schnellstraße nach SimVegas gefahren. Wir verschwenden hier bloß unsere Zeit."


"Moment mal, siehst du die Reifenspuren dort drüben, Angel?" "Verdammt, halt mal an, Ramoz. Die Spuren führen direkt auf die Schlucht zu." Das Polizeiauto hatte noch nicht vollständig gestoppt, als der jüngere der beiden Polizisten bereits die Tür aufriss und hinaus sprang. Er hatte sich zwar immer mehr Aufregung in seinem Beruf gewünscht, doch jetzt erschreckte ihn der Gedanke, dass es so weit sein könnte.


Er lief auf die Klippe zu und sah sofort den stark beschädigten hellblauen Pickup, der etwa 30 Meter tiefer im seicht dahin fließenden Rio Seco lag. Er erkannte ihn sofort als den vermissten Wagen, nach dem er mit seinem Partner Ausschau halten sollte. "Ramoz, ruf sofort einen Bergungsteam und vordere einen Hubschrauber an", rief er seinem Kollegen zu und suchte sofort einen Weg herunter zu dem Wrack.


Doch die Schlucht war einfach zu steil. Ohne entsprechende Ausrüstung konnte er den Pickup einfach nicht erreichen. Und Ramoz hatte auch keine guten Nachrichten. "Die können uns keinen Hubschrauber schicken. In SimVegas gibt es einen Casino-Großbrand und die brauchen dort jeden Mann. Wir müssen auf den Rettungswagen warten." Die beiden Polizisten mussten hilflos warten und das angeforderte Rettungsteam erreichte sie erst nach endlosen 45 Minuten. Doch dann ging alles relativ schnell.


Die beiden Rettungssanitäter waren für genau solche Notfälle ausgebildet und ausgerüstete. Innerhalb weniger Minuten hatten sie sich zum Grund der Schlucht abgeseilt und auch dem jüngeren Polizisten heruntergeholfen, denn wahrscheinlich würden sie jede helfende Hand brauchen. Die junge Sanitäterin sicherte sich eilig am Ufer des Rio Seco und stieg in das warme, trübe Wasser.


Ein Blick durch das Fenster zeigte ihr sofort das Ausmaß dieses Unfalls. Der Pickup war ein Totalschaden und im Inneren war überall Blut. So viel Blut. "Da sind zwei Menschen drin. Eine Frau und ein Mann. Beide um die 40. Wir müssen die beiden sofort da heraus holen!", schrie sie ihrem Kollegen zu und versuchte mit aller Kraft die eingedrückte Tür des Wagens zu öffnen.


Ihr Zerren an der Autotür brachte nichts, aber mit dem entsprechenden Werkzeug schafften die drei es, die beiden verletzten aus dem Auto zu holen. Beide lebten, waren aber nicht bei Bewusstsein. Sie mussten so schnell wie möglich in ein Krankenhaus, aber ohne Helikopter würde es schwer sein, die beiden überhaupt aus der Schlucht zu bekommen. Jede Minute die sie hier unten vertrödelten, konnte die letzte für diese beiden Unfallopfer bedeuten.

 

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kor. 14.10.2010