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Irgendwie schafften sie es, die beiden Verletzten nach oben zur Straße zu transportieren. Doch der Weg zum Krankenhaus war noch weit. Am nächste war die Klinik in Seda Azul, aber auch sie lag etwa eine Stunde entfernt. Die Klinikleitung in Seda Azul wurde umgehend informiert und machte sich auf die Ankunft der beiden Unfallopfer bereit und als schließlich der Krankenwagen mit Blaulicht in die Einfahrt der Notaufnahme raste, eilte sofort eine Arzt und ein Schwester herbei.


"Oh mein Gott", entfuhr es Roland, als er erkannte, wer da gerade in sein Krankenhaus eingeliefert wurde. "Beide sind stark unterkühlt", informierte ihn die Sanitäterin. "Der Puls ist sehr schwach. Der Mann hat auf der Fahr immer wieder das Bewusstsein erlangt. Die Frau reagiert nicht." Roland betrachtete einen Moment lang Gerdas entstelltes Gesicht. Es fiel ihm immer schwer, wenn der Patient kein namensloses Wesen blieb, sonder jemand war, den er wirklich kannte. Dann begann er umgehend mit der Untersuchung. "Schwester Julia, bereiten sie sofort OP 3 vor", wies er die Krankenschwester an, die mit ihm in die Notaufnahme geeilt war. "Der Bauch der Patientin ist ganz hart. Verdacht auf innere Blutungen. Wir müssen sofort operieren!"


Dann lief er zu der zweiten Trage. Gerade in diesem Moment öffnete Albert erneut seine Augen und schaute Roland verwirrt an. "Albert, scheu mich an, Albert!", forderte Roland ihn auf und leuchtete mit einer kleinen Leuchte in sein Auge. Doch kurz darauf verlor Albert erneut das Bewusstsein. Ansonsten schien er stabil zu sein. Sein Puls war gleichmäßig und bis auf ein paar oberflächliche Platzwunden konnte Roland nichts entdecken. "Der Mann kommt umgehend auf die Intensivstation", wies er dennoch die Schwester an. "Und bereiten sie ihn für das Röntgen und den CT vor."

 

 


Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein, denn das Klingeln des Telefons riss mich aus einem unruhigen Traum. Ich war von einer Sekunde auf die andere hellwach und eilte zum Telefon. Gerade als ich den Hörer abnahm, stürmten auch Alberts drei ältere Kinder herbei und sahen mich aus besorgt neugierigen Augen an. "Hier bei Kappe", meldete ich mich vorsichtig und war nicht wenig überrascht, als Roland sich meldete. "Oxana, Gerda und Albert wurden bei mir ins Krankenhaus eingeliefert, komm sofort mit den Kappe Kindern her."


Der Weg nach Seda Azul zog sich endlos hin. Die Geschwindigkeitsbegrenzungen waren mir in diesem Moment egal. Ich wollte nur so schnell wie möglich ins Krankenhaus um zu erfahren, was mit Albert passiert war. Auch die Kinder waren furchtbar aufgeregt und nun konnten wir auch Elvira nicht mehr verheimlichen, dass mit ihren Eltern etwas nicht stimmte. "Wo finde ich Albert und Gerda Kappe", überfiel ich die Schwester im Empfang, die sichtlich verunsichert guckte, als sie den Haufen verängstigter Kinder bemerkte.


Sie wollte gerade Antworten, als das "Pling" des Fahrstuhls erklang und Roland den Lift verließ. Ich vergaß die Schwester und rannte sofort auf ihn zu. "Roland, was ist passiert", redete ich wild drauf los. "Wie geht es Albert? Geht es ihm gut? Was ist mit Gerda?"


Rolands Gesicht wirkte besorgt. "Sie wurden heute Morgen im Rio Seco gefunden. Scheinbar hat Albert die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und sie sind fast dreißig Meter in die Schlucht gestürzt". Als Miranda das hörte, schrie sie entsetzt auf und wendete sich weinend von uns ab. Die restlichen Kinder und ich starten Roland nur schockiert an. "Wie geht es ihnen", fragte Desdemona, voller Angst vor der Antwort.


"Albert ist stabil", erklärte Roland was mich hörbar aufatmen ließ. "Er ist zwar stark unterkühl, schließlich haben die beiden fast zwei Tage im Wasser gelegen. Er verliert immer wieder das Bewusstsein, aber ich denke, dass er bald wieder zu sich kommen wird." Dann wurde Rolands Stimme aber deutlich ernster und Desdemona und die kleine Elvira lauschten voller Angst seinen weiteren Worten. "Gerdas Zustand ist kritisch. Sie hatte starke innere Blutungen und wir mussten ihre Milz entfernen. Sie hat nicht einmal ihr Bewusstsein wiedererlangt, seitdem sie gefunden wurde. Wir haben alles getan, was in unserer Macht stand und können jetzt nur hoffen, dass sie einen starken Willen hat."


Hans drehte sich gedankenverloren weg und erlaubte es niemandem, seine wahren Gefühle zu ergründen. Ich konnte nur erahnen, was er in diesem Moment fühlte. Elvira hatte noch nicht gelernt ihre Gefühle zu unterdrücken und fiel ihrer älteren Schwester weinend um den Hals. "Ich will zu meiner Mama!", weinte sie bitterlich und Desdemona konnte sie nur fest an sich drücken und ebenfalls ihren Tränen an Elviras Schulter freien Lauf lassen. "Können die Kinder zu ihrer Mutter?", hakte ich bei Roland nach und er nickte voller Mitgefühl.

 

 


Der Anblick ihrer Mutter traf die Kinder hart. Insbesondere die beiden Jüngsten begannen entsetzlich zu weinen, als sie ihre Mutter mit all den Schrammen und Narben im Gesicht sahen. Gerda lag regungslos in ihrem Bett und nur ein sehr flaches Atmen verriet, dass sie noch unter den Lebenden weilte. Aber ihr Leben hing an einem seidenen Faden, zumindest war dies mein erster Gedanke, als ich ihr blasses Gesicht sah. "Wach bitte auf, Mami, bitte!", flehte Elvira ihre Mutter an und hätte sich fast auf Gerda gestürzt, wenn Hans sie nicht zurückgehalten hätte. "Mama braucht jetzt ruhe, Küken", sagte er in seinem mildesten Tonfall, aber mit deutlichem Zittern in der Stimme. Und Elvira begriff, dass sie jetzt besser auf ihren Bruder hören sollte.

 

 


Ich zog mich mit Roland in eine Ecke des Zimmers zurück, um in Ruhe mit ihm reden zu können. "Sag mir die Wahrheit, Roland. Wird Gerda es schaffe?" Rolands zögern war mir Antwort genug. "Hätte man sie sofort gefunden, dann hätte ich viel mehr für sie tun können. Sie hat so viel Blut verloren. Und da ist auch noch…" Roland zögert. "Sag es mir, Roland, bitte. Sie ist doch meine beste Freundin!", flehte ich ihn an und das überzeugte Roland scheinbar. "Selbst wenn Gerda wieder aufwacht, wird sie nie wieder laufen können. Ihr Rückenmark wurde zu stark beschädigt."


Ich hätte losheulen können. Warum musste dieser schrecklich Unfall bloß passieren? Das hatten die Kinder nicht verdient und auch Gerda nicht. Sie war immer so nett zu mir gewesen seit ich nach Sierra Simlone Stadt gezogen war und jetzt würde sie ihr Leben lang gelähmt bleiben. "Kann ich zu Albert?", bat ich Roland. Er nickte und führte mich aus Gerdas Krankenzimmer. Die Kinder blieben bei ihrer Mutter.


Wir waren fast an Alberts Zimmer angekommen, als plötzlich eine Schwester aus der Tür gestürmt kam. "Dr. Reichardt, kommen sie schnell. Der Patient ist soeben kollabiert." "Warte hier Oxana", wies er mich an und rannte in das Zimmer, in dem mein geliebter Albert lag.


Ich stand da und wusste nicht, was im Inneren des Zimmers vor sich ging. Ich hörte nur immer wieder Roland etwas brüllen, aber ich konnte nichts Genaues verstehen. Ich hatte Angst um Albert, so furchtbare Angst. Ich liebte ihn doch so sehr und der Gedanke ihn zu verlieren war unerträglich. Wir hatten doch gerade erst zueinander gefunden und jetzt sollte alles wieder vorbei sein? In meiner Verzweiflung brach ich in Tränen aus. Ich hatte nicht mehr die Kraft, länger stark zu bleiben.


Plötzlich stand Kinga neben mir. "Mami, warum weinst du denn?", fragte sie in ihrer kindlichen Art. Bei ihrem Anblick fing ich nur noch heftiger an zu schluchzen und drückte sie fest an mich. "Es wir alles gut werden, Mami. Tante Gerda und Onkel Albert werden ganz sicher wieder gesund." Onkel Albert? Diese Worte aus ihrem Mund führten zu einem weiteren Heulkrampf. "Soll ich Papa anrufen?", fragte Kinga weiter und die Sorge in ihrer Stimme rührte mich auf unbekannte Weise. Wenn ich ihr doch nur alles erzählen könnte! Wenn ich ihr bloß sagen könnte, dass ihr Papa gerade hier im Krankenhaus lag und mit dem Tod rang! Wenn ich diese ständige Lügerei endlich beenden könnte!


Plötzlich wurde die Tür des Zimmers aufgestoßen und das Krankenbett, mit Albert darauf, von der Schwester heraus geschoben. Roland folge ihre hastig und beide nahmen keine Notiz von mir. Albert lag regungslos auf der Liege. Es sah beinah so aus als ob..."Was ist mit ihm", schrei ich panisch und lief Roland und der Schwester hinterher. "Wahrscheinlich ein Hirn- Aneurysma", erklärte Roland kurz angebunden und damit beschäftigt, Albert zu versorgen. "Wir müssen sofort operieren."


Ich sah nur noch, wie Albert in den Operationssaal geschoben wurde. Niemand erklärte mir etwas. Ich wusste nicht, was vor sich ging. Ein Hirn-Aneurysma? Was sollte das sein? Was bedeutete es für Albert? Er durfte nicht sterben. Er durfte einfach nicht! Ich liebte ihn doch so sehr.

 

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kor. 17.10.2010