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Und auch die Freude bei Klaudia war unbeschreiblich. So wie ich hätte sie ihren Vater am Abend am liebsten gar nicht mehr gehen lassen. Aber Dominik musste noch einmal zurück nach SimVegas. Es gab noch viel zu erledigen, bis er und sein Sohn Sky zu uns in die Simlane ziehen konnten. Aber Dominik versprach mir, dass er spätestens morgen Abend wieder bei mir sein würde. Alles was bis dahin nicht erledigt war, würde er schon irgendwie von hier aus regeln. Länger wollte er nicht von mir getrennt bleiben.


Vielleicht war es gut, dass Dominik nicht direkt bei mir blieb, denn so hatte ich Zeit noch selbst einige Dinge zu klären. All meine Ängste, dass er vielleicht doch einen Rückzieher machen könnte, vielen mit einem Schlag von mir ab. Was blieb war meine große Sorge und Trauer um Kinga. Und eine Hoffnung keimte in mir auch, wenn Dominik zu mir zurückkehrte, vielleicht ... vielleicht würde dann auch meine Tochter wieder heim kommen und wir könnten wieder die Familie sein, die wir einst waren. Diese wage Hoffnung ließ mich die halbe Nacht nicht schlafen und so wählte ich früh am Samstag Morgen die Nummer meiner Schwester Joanna.


Doch nicht sie, sondern meine Nichte Magdalena hob den Hörer ab. Sie war Joannas ältestes Kind und nur ein halbes Jahr älter als Klaudia. Eigentlich war sie mir fast fremd, denn durch das angespannte Verhältnis zu meiner Schwester hatte ich kaum Gelegenheit gehabt, meine Nichte und meinen Neffen kennenzulernen. "Magda, ist deine Mutter zuhause?", fragte ich, nachdem ich mich nach der Familie erkundigt und mit ihr geplaudert hatte. "Ja, Mama ist da", bestätigte sie. "Sie steht schon in der Tür und wartet nur darauf, dass ich ihr den Hörer übergebe. Bis bald dann, Tante Oxana".


"Du weißt weswegen ich anrufe, Jojo", sagte ich geradehinaus, nachdem Magdalene meiner Schwester den Hörer gereicht hatte. "Wie geht es Kinga? Kann sie bald wieder nach Hause?". "Nein", antwortet Joanna und machte so mit einem Schlag all meine Hoffnungen zunichte. "Xana, als ich dir anbot, mich um Kinga zu kümmern, da hatte ich dir gesagt, dass es ein langer Weg werden würde. Sie ist noch nicht so weit, um zurück zu kehren. Ja, sie ist inzwischen clean, aber sie hat noch nicht begriffen, dass sie ihr Verhalten ändern muss. Wenn ich sie jetzt wieder zu dir lassen würde, dann würde sie sofort in ihr altes Muster verfallen. Du musst Geduld haben, Xana".


"Aber wie lange, Jojo?", schluchzte ich in das Telefon. "Wochen? Monate? Jahre? Ich vermisse sie so sehr. Ich weiß, dass ich ihr keine gute Mutter war, aber ich würde alles tun, um meine Fehler ungeschehen zu machen". Joanna schwieg einen Moment. Ich spürte, dass sie genau über ihre folgenden Worte nachdachte. "Xana, erwarte nicht zu viel. In Kinga hat sich eine unheimliche Wut aufgestaut. Ich kann ihr helfen, weg von den Drogen zu kommen, ich kann ihr helfen, einen neuen Sinn im Leben zu sehen, aber ich kann sie nicht dazu bringen, dir zu verzeihen. Das muss sie schon selbst tun und ich bin mir nicht sicher, ob sie jemals dazu bereit sein wird. Sie ist eine Brodlowska und wir Brodlowskas verzeihen nicht leicht, das weißt du selbst am Besten".


Ja, das wusste ich nur zu genau. Ich konnte meinen beiden Vätern nie verzeihen und selbst Joanna hatte ich nie ganz verziehen, dass sie mich damals für ihre Machenschaften missbraucht hatte. Tief im inneren wusste ich, dass es Kinga genauso ging. "Bitte Sorge dafür, dass meine Kleine auf eigenen Beinen stehen und mit erhobenem Kopf durch das Leben gehen kann", bat ich Joanna deshalb mit zittriger Stimme. Ich konnte meine Tränen kaum noch zurück halten. "Und sag...sag ihr, dass ich ihr niemals einen Vorwurf machen werde". Joanna versprach es mir. "Ich werde aus Kinga eine starke und unabhängige Frau machen, die sich im Leben behaupten wird. Vertrau mir, Xana". Und das tat ich. Joanna war meine Schwester und was immer sie auch früher getan haben mochte, ich wusste, dass ihr Kinga genauso viel bedeutete wie mir.

 

 


"Mami, was tust du da?", fragte Klaudia besorgt, als sie aus dem Wohnzimmer kam und mich in Kingas Zimmer entdeckte. "Ich räume die Sachen deiner Schwester weg", erklärte ich ruhig, aber in Wahrheit musste ich alle Kraft aufbringen, damit meine Stimme nicht versagte. Klaudia sah sich in Kingas Zimmer um. Alle Regale waren ausgeräumt und unter dem Fenster standen mehrere Kisten, in die ich Kingas Habseligkeiten verstaut hatte. Gerade war ich dabei, das letzte ihrer Plakate vorsichtig von der Wand zu nehmen.


"Aber warum?", fragte Klaudia verständnislos. "Heißt das, Kinga kommt nie mehr zurück?". Ich bemühte mich noch immer, möglichst sachlich zu bleiben. "Ich weiß es nicht", war deshalb meine ehrliche Antwort. "Vielleicht kommt sie zurück, ich hoffe es sehr, aber das wird noch lange dauern. Und bis dahin braucht dein kleiner Bruder ein Zimmer. Er muss schließlich irgendwo schlafen können".


Ich hatte recht mit allem was ich sagte. Sky brauchte das Zimmer jetzt dringender als Kinga, die wahrscheinlich nicht einmal im Traum daran dachte zurück zu kehren. Aber deswegen Schmerzte es nicht weniger. Klaudia bemerkte, wie meine Augen wieder einmal anfingen bedenklich zu glänzen. Und da nahm sie mich einfach in den Arm. Ich war ihr so dankbar für diese Geste. "Du musst das nicht alleine machen, Mami", erklärte sie. "Komm, ich helf dir dabei alles einzupacken und auf den Dachboden zu tragen. Und dann machen mir das Zimmer schön für Sky".


Den ganzen Vormittag verbrachten Klaudia und ich damit, Kingas Sachen und auch die Möbel auf den Dachboden zu tragen. Bei den schweren Dingen erhielten wir natürlich tatkräftige Unterstützung von Tristan. Und auch wenn das Geld knapp war, rief ich die Handwerker, die in Kingas Zimmer neue Farbe an die Wand brachten und einen Teppich verlegten, der eher an die Bedürfnisse eines kleinen Jungen angepasst war. Ich hatte auch beschlossen, neue, kindgerechte Möbel für Sky zu kaufen, doch die konnten erst am Montag geliefert werden. Nachdem die Handwerker gegangen waren, betrachtet ich das leere Zimmer. Es sah schön aus und würde Sky sicher gefallen. Es stimmte mich nur traurig, dass es nun endgültig nicht mehr Kingas Zimmer war.


Uns am frühen Abend traf Dominik dann mit seinem Sohn ein. Klaudia begrüßte ihren Vater freudestrahlend mit einem Kuss, kaum dass er die Koffer abgestellt hatte. Und ich entdeckte den kleinen, fünfjährigen Jungen, der sich leicht eingeschüchtert hinter dem Schrank versteckte.


"Hallo, kleiner Mann", begrüßte ich ihn freundlich. "Du musst dich doch nicht verstecken". Ich kam auf ihm zu und streckte ihm meine Hand entgegen, die er, zwar misstrauisch guckend, auch annahm. "Du bist also Sky?", fragte ich und Dominiks Sohn nickte zaghaft. "Das da ist mein Papa", sagte er und zeigte auf Dominik, was mir ein herzhaftes Lächeln entlockte. Klaudia hatte mir über all die Jahre viel von ihrem kleinen Bruder erzählt und ich kannte auch allerlei Fotos von ihm, doch wir waren uns noch nie persönlich begegnet.


Man konnte richtig sehen, wie der Kleine langsam auftaute und seine Scheu abwarf. "Bist du meine neue Mama?", fragte er nämlich ohne Vorwarnung und zeigte mit seinem kleinen Finger auf mich. Unsicher schaute ich zu Dominik. Wir hatten noch gar keine Gelegenheit gehabt zu besprechen, was genau ich für Sky nun sein sollte. Dominik zuckte kurz mit den Schultern und nickte mir zu. "Ja, Sky", sagte ich folglich an seinen Sohn gewandt. "Wenn du es möchtest, dann bin ich deine neue Mama".


"Darf ich dich dann auch Mama nennen?", fragte er vorsichtig. Ich war überwältigt von dieser Frage. Ich hätte nie erwartet, das Sky mich so schnell akzeptieren würde. "Natürlich darfst du das". Und ehe ich es mich versah, schlang er auch schon seine kurzen Ärmchen um meinen Hals. Ich würde ihm eine gute Mutter sein, das schwor ich mir. Ich würde mich um ihn kümmern, als ob er mein eigener Sohn wäre. Nein, er war mein eigener Sohn. Er war der Sohn, den ich mir mit Dominik gewünscht hatte, aber nicht mehr bekommen konnte. Im Stillen dankte ich Gott dafür, dass er mir diese neue Chance gab.


"Komm, Sky, lass uns in mein Zimmer gehen und zusammen spielen", sagte Klaudia zu ihrem Bruder, als der sich von mir gelöst hatte. Der lachte seine Schwester hell an und hüpfte ihr hinterher in ihr Zimmer. Klaudia war eine großartige große Schwester. Sky vergötterte sie regelrecht und hatte sich in der Vergangenheit immer gefreut, wenn Klaudia Dominik und ihn übers Wochenende in SimVegas besucht hatte. Und auch jetzt war Klaudia nur all zu gern bereit, ihre Spielsachen mit ihrem Bruder zu teilen, ja sie ihm sogar zu überlassen, den so langsam war sie aus dem Alter raus, in dem man noch mit Teddybären spielte.


Ich war an diesem Tag glücklich wie schon lange nicht mehr und so schien es allen Bewohnern der Simlane zu gehen. Allen bis auf Tristan, der recht betrübt im Sessel vor dem erloschenen Kamin saß. "Freust du dich etwa nicht, dass Dominik wieder hier eingezogen ist", fragte ich ihn unsicher und setzte mich zu ihm. "Nein, das ist es nicht", entgegnete er. "Es ist schön, dass ihr wieder eine Familie seid. Nur...ich fühle mich hier irgendwie überflüssig. Du, Dominik und die Kinder, ihr seid jetzt eine richtige Familie. Ich störe da nur. Es ist wohl besser, wenn ich ausziehe und mir eine eigene Wohnung suche".


Vor Schreck klappte mir der Kinnladen herunter. "Aber du kannst doch nicht ausziehen. Das geht doch nicht", stammelte ich. Tristan lebte nun schon seit 20 Jahren mit mir unter einem Dach und jetzt wollte er von hier weg? Er hatte mir schon so oft geholfen mich wieder aufzurappeln und mutig nach vorne zu blicken, wenn es in meinem Leben mal wieder drunter und drüber ging. Wie sollte ich denn ohne ihn zurechtkommen? "Wollen Frank und du etwas zusammen ziehen? Ist es deswegen?", hakte ich weiter nach.


"Nein, es ist nicht wegen Frank", antworte Tristan niedergeschlagen. "So wie wir beide leben, ist es schon gut. Jeder hat seinen Freiraum, aber wenn wir uns sehen wollen, dann können wir das jederzeit tun. Vielleicht will ich in 10, 15 Jahren mit ihm zusammenziehen, aber jetzt kann ich mir das noch überhaupt nicht vorstellen. Nein, Oxana, es ist, weil ich dir so viele Probleme bereitet habe. Dein ganzes Erspartes ist weg. Ich kann verstehen, wenn du mich nicht mehr hier haben möchtest".


"Aahhhh, Tristan Linse, jetzt hör doch mit diesem Geld-Quatsch auf!" schrie ich laut heraus und sprang aus meinem Sessel auf. Von meinem Ausbruch erschrocken richte sich auch Tristan ruckartig auf. Ich raufte mir derweil meine Streichholz-kurzen Haare und schüttelte ungläubig den Kopf. "Wie oft soll ich dir denn noch erklären, dass der Verlust des Geldes nicht solch ein Drama ist. Ja, das Geld ist weg, aber daran können wir nichts mehr ändern und schließlich konntest du nicht ahnen, dass sich die politische Lage so zuspitzt."

 

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