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Kasimir hatte sich inzwischen mit der Morgenzeitung an den Esstisch gesetzt und ich gesellte mich zu ihm und aß eine gefüllte Waffel. Wenn es schon in meinem Herzen drunter und drüber ging, dann sollte doch wenigstens mein Bauch gut gefüllt sein. Eine Schlagzeile im Wirtschaftsteil schlug Kasimir die Zornesröte ins Gesicht. "Diese Simnistrischen Schweine!", brummt er. "Die haben doch tatsächlich die Exportsteuer für Erdöl in die SimNation um 150 % erhöht. Die haben sie doch nicht mehr alle, das treibt unsere Fördergesellschaften dort vor Ort doch in den Ruin. Die wollen uns fertig machen!"


"So schlimm wird es schon nicht werden", entgegnete ich. "Simnistrien startet doch gern solche Aktionen. Ich bin sicher, dass sie die Steuererhöhung in ein paar Tagen wieder zurück nehmen, also mach dir keinen Kopf". Kasimir grummelte etwas Unverständliches in seinen Bart und widmete sich weiter seiner Zeitung, während ich den Frühstückstisch abräumte.


Er hatte sich gerade etwas beruhigt, als sein Handy klingelte. Kasimir legte die Zeitung beiseite und griff nach dem Mobiltelefon, das auf dem Couchtisch lag. Ich bekam mit, dass er mit seinem Chef sprach und auch, dass es um die schlechten Nachrichten aus der Zeitung ging. "In Ordnung Herr Naphtha, Herr Linse und ich werden uns sofort in der Geschäftsstelle einfinden. Auf Wiedersehen", beendete er das Gespräch.


"Was ist denn passiert, Kasimir?", fragte ich, als er aufgelegt hatte. "Heute ist doch euer freier Tag". "Die Lage ist wohl doch ziemlich ernst", antwortete er. "Bei der SimÖl ist wohl der Teufel los, immerhin fördern wir fast 4/5 unseres Erdöls in Simnistrien. Tristan und ich müssen sofort zu einer Notfallsitzung. Mein Chef klang wirklich niedergeschlagen, fast schon ängstlich. Oh Mann, Perle", seufzte er, "dabei hatte der Tag doch so schon angefangen". Bei seinen letzten Worten ließ er sich nicht nehmen, mich anzüglich anzugrinsen.

 

 


Und wieder fuhren meine Gefühle Achterbahn. So konnte es einfach nicht weiter gehen. Wenn ich nicht endlich eine Entscheidung traf, dann würde ich noch durch drehen. Tristan und Kasimir brachen auf zur Zentrale der Ölgesellschaft und ich zog mich um und ging hinaus auf die Plantage. Wenn ich alleine war, dann musste ich ständig an Kinga denken und auch das bekam mir auf Dauer nicht gut. Goya begleitete mich, nicht länger sauer, dass ich sie aus dem Haus verjagt hatte, und half mir nach Schädlingen in den Zitrusbäumen Ausschau zu halten.


Ich blieb den ganzen Tag auf der Plantage. Als ich am Abend in die Simlane zurückkehrte, saß Kasimir bereits missmutig auf dem Sofa. "Wie ist die Sitzung verlaufen?", fragte ich vorsichtig, da ich bereits ahnte, dass die Antwort nicht positiv ausfallen würde. Kasimir stand auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Die Gesellschaft steht kurz vor dem Bankrott. Durch die Steuer ist unser Öl viel zu teuer. Keiner will es mehr kaufen. Wir versuchen erstmal, die Krise auszusitzen. Alle Bohrtürme wurden still gelegt, auch hier in der Sierra Simlone, um die laufenden Kosten zu senken. Wir können nur hoffen, dass das Simnistrische Wirtschaftsministerium nur die Muskeln spielen lassen wollte".


Das waren keine guten Nachrichten. "Die Welthandelsorganisation wird doch sicher eingreifen. So eine Steuererhöhung kann nicht rechtens sein", erwiderte ich. Doch Kasimir schnaufte nur verächtlich. "Also ob sich Simnistrien je darum geschert hätte, was die WTO oder die Vereinten Nationen sagen. Ach egal, sei‘s drum. Tristan und ich sind fürs erste beurlaubt, unbezahlt versteht sich".


"Wo ist Tristan denn überhaupt?", fragte ich und Kasimir deutete auf das Arbeitszimmer. Mein langjähriger Freund und Mitbewohner saß am PC und schrieb eifrig e-mails. "Alles in Ordnung?", erkundigte ich mich besorgt. Tristan antwortete eine Weile nicht, sondern starrt nur auf den Bildschirm. Dann schüttelte er den Kopf. "Nein Oxana, nichts ist in Ordnung. Morgen wird bekannt, dass die SimÖl die Förderung eingestellt hat. Die Aktienkurse werden ins Bodenlose stürzen". Ich verstand zunächst nicht, warum Tristan sich deswegen solche Sorgen machte. Was kümmerte uns die Börse?


"Oxana, wir verlieren dadurch unser ganzes Geld! Du hattest mich nach der Scheidung doch gebeten, deine Ersparnisse zu verwalten. Ich hab es an der Börse angelegt. in Aktien der SimÖl. Morgen werden sie nichts mehr wert sein". Geschockt sah ich ihn an. "Und du kannst nichts dagegen tun?", fragte ich fassungslos. Tristan seufzte schwer. "Ich versuche gerade zu retten was geht, aber ich will ehrlich sein, Oxana, ich fürchte, dass ich nichts mehr tun kann". Tristan wagte es nicht, mich anzusehen. Er hatte gerade nicht nur sein Geld verloren, sondern auch meins und das belastete ihn noch schwerer.


"Es tut mir leid, Oxana. Es tut mir so wahnsinnig leid", flüsterte er. "Aber das Haus ist sicher, ebenso dein Land. Ich habe nur deine Ersparnisse angelegt, das versichere ich dir". An das Haus hatte ich gar nicht gedacht, aber ich war erleichtert, dass ich mir darum keine Sorgen machen musste. Nur Tristan sah immer noch so aus, als ob er jeden Moment zusammenbrechen würde.


"Das ist doch nicht deine Schuld Tristan", tröstete ich meinen Freund. "Niemand konnte ahnen, dass so etwas passiert. Ich weiß doch, dass du mein Geld nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt hast. Und es ist doch nur Geld, solange die Farm sicher ist, ist alles nur Halb so schlimm. Wir müssen den Gürtel jetzt etwas enger schnallen, aber es wird sicher bald wieder aufwärts gehen". So ganz glaubte ich meinen Worten selbst nicht, aber Tristan fühle sich nach dieser Ansprach zumindest etwas besser.

 

 


"Warte doch erst ab, wie sich die Börse entwickelt", redete Kasimir auf mich ein. Wir lagen zusammen auf dem Bett und er nahm mich in den Arm. Ich wusste, dass es falsch war. Es war Dominik gegenüber einfach nicht fair, aber ich brauchte eine Schulter, an die ich mich anlehnen konnte. Mein Schlechtes Gewissen Kinga gegenüber lastete seit Wochen auf mir und jetzt kamen auch noch die finanziellen Probleme hinzu.


So nah waren wir uns schon lange nicht gekommen und Kasimir nutzte die Gelegenheit, um intim zu werden. Seine Hand rutschte unter mein Leibchen und berührte mich. Doch ich konnte das nicht. Ich griff seine Hand und schob sie bestimmt fort. Hastig richtete ich mich auf und setzte mich auf die Kante des Bettes "Kasimir, es tut mir leid", flüsterte ich und meinte diese Worte ernst. Er erwiderte darauf nicht, sonders starrte enttäuscht und frustriert an die Wand vor ihm. "Ich schlafe heute in Kingas Zimmer", erklärte ich ohne ihn anzublicken und verließ das Schlafzimmer.


Warum tat ich das bloß immer wieder? Warum verletzte ich bloß immer alle Menschen um mich herum? Kasimir liebte mich und ich stieß ich von mir weg. In gewisser Weise betrog ich ihn sogar mit Dominik. So durfte es nicht weiter gehen. Wie so oft in letzter Zeit, kuschelte ich mich in Kingas Bettdecke. Beim Gedanken an meine Tochter stiegen mir die Tränen in die Augen. Auch sie hatte ich nicht so lieben können, wie sie es verdient hatte. Warum tat ich allen Menschen um mich herum immer nur weh?

 

 


Obwohl ich schon kurz nach Sonnenaufgang wach wurde, blieb ich noch lange im Bett liegen. Erst als ich Klaudias Schulbus hörte, entschied ich mich dazu, das Bett zu verlassen. Das Haus lag vollkommen still da. Ich nahm mir eine Handarbeitszeitschrift und begann einen Artikel über das Häkeln von Tischdecken zu lesen. Eigentlich interessiert es mich nicht, aber es lenkte mich ab. "Morgen Oxana", begrüßte Tristan mich, als er mit der Morgenzeitung in der Hand das Haus betrat. "Hattest du etwa Streit mit Kasimir?", fragte er neugierig.


Ich legte die Zeitschrift bei Seite und Tristan setzte sich zu mir auf das Sofa. "Streit würde ich es nicht nennen", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Aber ich fürchte, ich hab Kasimir in den letzten Wochen genügend Gründe gegeben, um wütend auf mich zu sein". "Ja, er war ziemlich angepisst", bestätigte Tristan. "Deshalb ist er auch ganz früh am Morgen zur Herde rausgefahren. Darum musst dich also nicht kümmern". Ich wusste nicht, ob ich darüber wirklich froh sein sollte. Die Arbeit auf der Farm war nämlich eine willkommene Ablenkung.


"Willst du darüber reden, was dich bedrückt?", fragte Tristan einfühlsam. "Ich merke doch, dass Kasimir und du schon seit Wochen Probleme habt". Ich schluckte schwer. Sollte ich wirklich mit Tristan besprechen, dass ich mich zwischen Kasimir und Dominik nicht entscheiden konnte? Schließlich entschied ich mich dagegen. Tristan war zwar ein enger Vertrauter, aber seine Auffassung von Beziehung, Liebe und Treue unterschied sich so sehr von meiner, dass ich nicht glaubte, von ihm eine Lösung für mein Problem zu erhalten.


Tristan kannte mich gut genug, um nicht weiter nachzuhaken. Ich hielt mich aus seinen Liebesangelegenheiten heraus und er sich aus meinen. So handhabten wir das nun schon seit Jahren und waren damit beide gut gefahren. Er nahm die Fernbedienung und schaltete den Nachrichtensender ein. "Dann wollen wir doch mal schauen, wie schlimm die Lage wirklich ist", seufzte er. Und die Lage war schlimm. Der SNAX war über Nacht um fast 10 % eingebrochen. Nach Bekanntgabe des Förderstopps bei der SimÖl brach die Aktie binnen Stunden um über 80 % ein. Tristan und ich konnten nur fassungslos mit ansehen, wie unsere Ersparnisse sich in Luft auflösten.

 

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