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Tristan hatte versuchte zu retten, was zu retten war und verkaufte
den Großteil unserer Aktien, bevor sie vollständig
an Wert verloren. Niemand glaubte, dass die Aktienkurse in den
nächsten Monaten wieder steigen würden, denn der Ton
zwischen der SimNation und Simnistrien wurde Zusehens schärfer.
Am Ende blieben uns von einem Aktienwert von fast 50000 §
knapp 2500 §. Mein Mitbewohner zog sich blass wie eine Wand
in die hinterste Ecke des Gartens zurück. Ich hatte Tristan
noch nie so niedergeschlagen erlebt.
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Der Verlust des Geldes machte mir erstaunlich wenig aus. Wahrscheinlich
hatte ich in letzter Zeit zu viele Verluste verkraften müssen,
als das ich mir den Kopf des Geldes wegen zerbrach. Tristan hockte
stundenlang auf der Stiege zum Whirlpool, mitten in der Mittagssonne,
und es sah nicht so aus, als ob er bald wieder ins Haus kommen
würde. Sonst war Tristan immer derjenige, der mich aus einem
tiefen Loch zog, doch diesmal brauchte er Hilfe. Aber nicht von
mir, sondern von dem Mann, den er liebte. Ich rief Frank an und
bat ihn, so schnell es ging zu kommen. Und allein der Anblick
seines Freundes genügte, damit Tristan in Tränen ausbrach
und sein Gesicht in Franks Schulter vergrub. Frank brauchte nichts
zu sagen. Es genügte, dass er Tristan in dieser schweren
Stunde Trost spendete.
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Ich beobachtete die beiden durchs Küchenfenster hindurch.
Tristan wirkte nach wie vor sehr niedergeschlagen, aber immer
wieder huschte ab und an ein Lächeln über sein Gesicht.
Die beiden liebten sich, gar keine Frage, und das obwohl Tristan
sein Bett immer wieder mit anderen Männern teilte. Und bei
diesem Anblick wurde mir bewusst, wie einsam ich war, wie sehr
ich mich nach wahrer Liebe sehnte.
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Ich griff nach meinen Schlüsseln auf dem Küchentresen
und verließ fluchtartig das Haus. Nur mit Mühe gelang
es mir, die Tränen zu unterdrücken. Ich war so durcheinander,
dass ich gar nicht realisierte, wohin ich lief. Und schließlich
stand ich auf "Norman", Gerdas Farm. Verwirrt blickte
ich mich um und brauchte einige Minuten um zu erkennen, wo ich
war. Durch die gläserne Haustür hindurch bemerkte mich
allerdings bereits Elvira.
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Mit einem Teller Waffeln in der Hand blieb sie mitten in der Küche
stehen und beobachtete, wie ich orientierungslos immer wieder
auf das Haus zuging und mich von ihm entfernte. "Mama",
rief sie, "Tante Oxana steht vor dem Haus. Aber sie verhält
sich irgendwie seltsam. Ich glaube, du solltest mal nach ihr sehen".
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Meine beste Freundin Gerda war gerade damit beschäftigt,
das Badezimmer zu putzen. Es war nicht leicht ein Haus, das von
fünf Personen, drei davon Männer, bewohnt wurde, sauber
zu halten. Dass die Arbeit auf der Farm nicht gerade sauber war,
machte es nicht einfacher. Sie hörte Elviras Rufen, stellte
den Mopp beiseite und wischte sich mit dem Handrücken eine
Strähne aus dem verschwitzten Gesicht. Elvira klang ernsthaft
besorgt, also war es wohl besser, wenn sie mal nachsah.
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Gerda erkannte auf den ersten Blick, wie aufgelöst ich war.
Sie wollte mich gerade ins Haus bitten, als meine Beine nachgaben
und ich beinah hinfiel. Doch Gerda packte mich fest am Arm und
hielt mich so auf den Beinen. "Ist schon in Ordnung, Oxana",
redete sie auf mich ein und klopfte mir auf den Rücken. "Nach
einer starken Tasse Kaffee geht es dir sicher gleich besser".
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Gerda führte mich in Wohnzimmer und ich nahm auf dem Sofa
Platz. Sie ging kurz in die Küche und kehrte mit zwei Tassen
frisch aufgebrühten Kaffee zurück. Ich nahm einen tiefen
Schluck und augenblicklich ging es mir besser. Gerda blickte mich
auffordernd an. "Jetzt erzähl schon, Oxana. Wo drückt
denn der Schuh?" Wie so oft wollte ich zunächst abwinken
und so tun, als ob alles in Ordnung sei, aber wozu hatte man Freunde,
wenn man sich ihnen nicht anvertrauen konnte. "Ich liebe
zwei Männer", antwortete ich also und fügte ein
kleinlautes, "Wieder einmal", hinzu.
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Nun war es an Gerda einen tiefen Schluck vom Kaffee zu nehmen.
Wir waren nun schon seit Jahren befreundet, aber es viel mir schwer,
dieses Thema Gerda gegenüber anzusprechen. Immerhin hatte
ich eine Affäre mit ihrem Mann gehabt. Und auch wenn dies
nun schon 15 Jahre zurück lag, so schämte ich mich ihr
gegenüber dafür. Gerda setzte die Tasse wieder ab und
zu meiner Erleichterung erkannte ich keinen Vorwurf in ihren Blick.
"Der eine Typ wird wohl Kasimir sein und wer ist der zweite
Glückliche, der dein Herz erobert hat?", fragte sie.
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"Es ist Dominik. Er...er hat mir einen Heiratsantrag gemacht
als ich mit ihm aus Warschau zurück gekommen bin. Ich war
so überrumpelt, dass ich abgelehnt habe. Immerhin war und
bin ich doch mit Kasimir zusammen. Wie sollte ich da annehmen?
Ich hab ihm gesagt, dass ich nachdenken muss". "Aber
du liebst Dominik, nicht wahr?", fragte Gerda. Ich nickte.
"Wo liegt dann dein Problem? Trenn dich von Kasimir und nimm
Dominiks Antrag an. Ich verstehe ohnehin nicht, was dich bei Kasimir
hält".
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Gerda hatte meine Beziehung zu Kasimir nie gutgeheißen.
Ich konnte sie sogar verstehen, denn immerhin war Kasimir als
stadtweiter Weiberheld bekannt und vor vielen Jahren hatte er
auch mich ausgenutzt. Aber ich war nun schon seit über drei
Jahren mit ihm zusammen und auch wenn er anderen gegenüber
oft unangenehm war, so hatte ich nie daran gezweifelt, dass seine
Absichten mir gegenüber dieses Mal ernst waren. Er war erwachsen
geworden. Er hatte aus seinen Fehlern gelernt und mich für
sich gewonnen. "Ich fühle mich bei ihm sicher",
antwortete ich Gerda schließlich. "Ich weiß,
dass er mich leibt...und ich liebe ihn auch. Das Leben mit ihm
ist so unkompliziert. Ich weiß nicht, ob du das verstehen
kannst, Gerda, aber ich bin an die Beziehung mit Kasimir ohne
Erwartungen heran gegangen und sie ist gut geworden. Wir führen
ein schönes Leben zusammen und auch Klaudia kommt gut mit
ihm aus. Er hilft mir mit der Farm und ich…bin einfach nicht
mehr einsam".
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"Aber mit Dominik wärst du auch nicht einsam",
wand Gerda ein. "Und er ist Klaudias Vater. Meinst du nicht,
dass er noch viel besser mit ihr auskommen würde". Natürlich
hatte Gerda recht damit. All diese Gedanken hatte ich mir doch
schon unzählige Male selbst gemacht. "Ich habe Angst,
Gerda", gestand ich meiner Freundin. "Ich liebe Dominik.
Ich liebe ihn, wie ich sonst noch nie einen Mann geliebt habe...vielleich,
vielleicht mit Ausnahme von Albert. Und ich sehne mich danach,
wieder in seinen Armen zu liegen. Aber was ist, wenn er mir meinen
Betrug nicht verzeihen kann? Er sagt zwar, dass er darüber
hinweg ist, aber was ist, wenn er mir in drei Monaten, drei Jahre
oder gar in einem Jahrzehnt vorwirft, dass ich ihn wegen Kinga
belogen habe? Ich kann mit dieser Angst nicht Leben. Ich könnte
es nicht ertragen, diese Verachtung noch einmal in seinen Augen
zu sehen". Gerda sah mich voller Mitgefühl an. Endlich
verstand sie, warum ich keine Entscheidung treffen konnte.
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Aber ihr war auch klar, dass ich eine Entscheidung treffen musste,
wenn ich mich nicht selbst zugrunde richten wollte. Sie stand
auf, nahm mir die Tasse aus der Hand und stellte sie auf den Tisch
neben den Fernseher. "Liebst du Kasimir?", fragte sie.
"Ja". "Und liebst du Dominik?". "Ja,
oh ja". "Und wenn du deine Augen schließt und
dir dich selbst in dreißig Jahren vorstellst, war sitz da
auf der Veranda neben dir?". "Dominik", hauchte
ich ganz wie von selbst, ohne darüber nachzudenken. "Dann
schnapp ihn dir! Denk nicht darüber nach, was sein könnte!
Du wirst es nur herausfinden, wenn du dich traust. Und wenn du
dich jetzt nicht für Dominik entscheidest, dann wirst du
dich immer fragen, wie es hätte werden können. Ich war
damals bereit, Albert für dich gehen zu lassen. Nun bist
du an der Reihe deine Ängste zu überwinden und zu Dominik
zurück zu kehren".
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"Aber...", wollte ich erwidern, doch Gerda ließ
keine Widerworte zu. Stattdessen griff sie meine Hände und
redete auf mich ein. "Du liebst Dominik. Wenn du von ihm
sprichst, dann sehe ich in deinen Augen den Glanz, mit dem du
früher Albert angesehen hast. Ihr beide gehört einfach
zusammen. Du wirst zu Kasimir gehen und dich von ihm trennen und
dann wirst du Dominik anrufen und seinen Antrag annehmen, wie
du das schon hättest tun sollen, als er dich gefragt hat.
Ist das klar Oxana?". Gerda blickte mir tief in die Augen.
Ich wusste, dass sie nur das Beste für mich wollte und ich
erkannte schlagartig, dass sie absolut Recht hatte. Ich liebte
Dominik und ich wollte keinen anderen Mann als ihn. Sicherheit
hin oder her. "Gut Gerda, so mache ich das".
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"Ach du dummes Huhn, dass man dich zu deinem Glück auch
immer zwingen muss", schniefte Gerda und schloss mich fest
in den Arm. Und auch ich begann leise zu schluchzen. "Danke
Gerda. Danke, dass ich dich habe". Gerda drückte mich
noch einmal fest, dann löste sie die Umarmung. "Und
jetzt trinkst du deinen Kaffee zuende", befahl sie mir im
mütterlichen Ton. "Und du bleibst zum Abendessen, keine
Widerworte!"
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Es war, als ob mir eine riesige Last vom Herzen gefallen wäre.
Endlich konnte ich wieder in die Zukunft blicken. Aber zunächst
wollte ich den Abend mit meiner Freundin verbringen. Ich half
Gerda beim Zubereiten des Abendessens. Nebenbei erzählte
sie mir von den Neuigkeiten in der Familie: "Ich werde bald
Oma, Oxana. Miranda ist schwanger. Frank und sie haben es mir
am Sonntag nach dem Gottesdienst erzählt. Mein erstes Enkelkind!
Oh, Oxana, ich freue mich ja so".
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"Dann wird Kinga ja bald Tanta", entfuhr es mir. Gerda
blickte mich aus großen Augen an und für einen Moment
hatte ich Angst etwas Falsches gesagt zu haben. "Daran hab
ich ja noch überhaupt nicht gedacht. Unsere Familienbeziehungen
sind aber auch sehr verworren". Gerda nahm es demnach mit
Humor und fröhlich fuhr sie mit der Zubereitung des Salates
fort. "Ich hoffe, dass dein Bruder und Desdemona sich auch
bald dazu entschließen ein Kind zu bekommen. Weißt
du Oxana, ich bin erst glücklich, wenn ich eine große
Familie um mich herum habe".
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"Und zu dieser Familie gehört an erster Stelle dein
Ehemann", Volker war unbemerkt in die Küche geschlichen
und begrüßte seine Ehefrau mit einem zärtlichen
Kuss. Gerda und er hatten sich vor etwa drei Jahren auf einer
Viehauktion kennengerlernt und der rüstige Farmer hatte schnell
Gerdas Herz erobert. Bereits nach fünf Monaten gaben sie
sich das Ja-Wort und führten seitdem eine glückliche
Ehe. Gerda hatte ihre Entscheidung seitdem nicht ein einziges
Mal bereut und ich bewunderte sie dafür, dass sie bereit
war ein solches Risiko einzugehen, um glücklich zu werden.
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Zum Abendessen erschienen dann auch Hans und Mika. Die beiden
waren inzwischen sogar eine Lebensgemeinschaft eingegangen. Zwar
ist es Gerda am Anfang schwer gefallen zu akzeptieren, dass ihr
einziger Sohn keine Schwiegertochter mit nach Hause bringen würde,
doch inzwischen war sie mit ihrem zweiten Sohn mehr als zufrieden.
So wie es momentan aussah, würden Mika und Hans "Norman"
übernehmen, sobald Gerda und Volker nicht mehr in der Lage
waren, die Farm selbst zu bewirtschaften. Leider konnte Elvira
nicht zum Essen bleiben, da sie mit einem Team von Geologen die
Höhlen in der Umgebung erforschte. Ich hätte gerne auch
mit der jüngsten Kappetochter ein paar Worte gewechselt.
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