Aufgabe 19
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Gleich nachdem Joanna ihrer Schwester nachgelaufen ist, ist Orion den Tränen nahe nach oben verschwunden. Und so stehe ich alleine mit Darek im Wohnzimmer. "Es...es tut mir leid Darek", beginne ich unsicher zu stottern. "Ich wollte dich nicht verletzen. Ich habe nicht erwartet, dass...dass der Schlag so heftig ausfällt. Ich wollte doch nur..." "Ja, was wolltest du?", unterbricht Darek mich und obwohl er sehr ruhig bleibt, klingt seine Stimme alles andere als versöhnlich.


"Wolltest du mir damit Respekt einflößen? Erklär es mir, denn ich kann es bis heute nicht begreifen." Jetzt ist sein Blick nicht mehr ausdruckslos, sondern glüht vor unterdrückter Wut und vor Schmerz. Seine Worte treffen mich, doch anstatt so etwas wie Reue bei mir zu bewirken, spüre ich, dass wieder die Wut in mir aufsteigt und ich kann mich nur mit Mühe beherrschen Darek nicht anzuschreien, dass ich genau das wollte: Ihm Respekt einzuflößen!

Und hätte ich etwas getrunken, dann würde ich es auch sofort tun. Doch so drehe ich mich nur zum Fenster und starre ins Leere um mich wieder zu berühigen. Ich glaube nicht, dass Darek weiß, was gerade in mir vorgeht, denn dann wäre der Zorn in seinen Augen nicht so schnell verschwunden. Glaubt er etwa, ich kann ihn nicht ansehen, weil ich ein schlechtes Gewissen habe?

Oder habe ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen und bin deshalb wütend? Wütend auf mich selbst? Ich sollte nicht so viel nachdenken. Erst jetzt fällt mir Dareks immer noch leicht blaues Auge auf und die Wunde darüber. "Tut es immer noch weh?", frage ich und bin selbst überrascht darüber, wie sehr ich für Darek hoffe, dass es das nicht mehr tut. Darek schüttelt nur den Kopf. Vorsichtig strecke ich meine Hand aus um die Wunde sanft zu berühre, wie ich es früher oft getan habe, wenn er sich beim Fußball verletzt hat. Darek zuckt unweigerlich zurück, als er meine Hand auf sich zukommen sieht, doch als meine kalten Finger die noch immer warme Wunde berühren, schließt er die Augen und atmet tief aus. "Es musste genäht werden", erklärt er leise, "und eine Narbe wird auf alle Fälle zurückbleiben." Während er spricht, öffnet er nicht die Augen und meine Finger fahren immer wieder die Wund ab.


Doch dann öffnet er sie und der Schmerz in seinen Augen, der gerade verflogen schien, ist wieder da. "Arek, es ist noch lange nicht alles wieder in Ordnung. Dafür ist zu viel passiert." Ich höre ihm aufmerksam zu. "Ich glaube, es ist das Beste, wenn du ab jetzt in Oxanas Zimmer schläfst." Ich wiederspreche nicht.


Ich gehe gleich hoch, um einige meiner Sachen zu holen. Je früher ich das mache, desto bessere. Doch auf der Treppe bleibe ich kurz stehen und frage Darek: "Hast du wirklich daran gedacht, mich anzuzeigen?" Darek sieht mir direkt ins Gesicht und antwortet dann bestimmt: "Es ist viel passiert, Arek." Ich schau ihn noch einen Moment an und gehe langsam das letzte Stück die Treppe hoch.

 

 


Nach außen hin scheint alles wieder in Ordnung zu sein. Doch dass dies nicht stimmt, merkt man schon daran, dass niemand im Haus die Ereignisse der letzten Tage anspricht, als ob es sie nie gegeben hätte. Und eigentlich ist es mir auch ganz recht so. Für mich ist die Geschichte auch abgeschlossen. Für Joanna aber scheinbar nicht. "Warum hast du zugelassen, dass Oxana gehen musste?", fragt sie Darek, als die beiden allein in der Stadt sind. Darek nimmt noch einen Schluck von seinem Kaffee bevor er antwortet. "Dass Oxana die Polizei gerufen hat, war das Schlimmste, was sie Arek antun konnte. Er kann ihr das nicht verzeihen und...und ich verstehe auch warum." Joanna sieht ihren Vater überrascht an.


"Komm, lass uns etwas herumgehen", Darek steht auf und Joanna folgt ihm ohne Widerspruch. "Damit du alles verstehst, musst ich dir einige Dinge erzählen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Arek und ich das schon längst gemacht hätten." Joanna sieht Darek neugierig an, unterbricht ihn aber nicht. "Weißt du wo ich Arek kennengelernt habe?", fragt er. "Ja, in Warschau, als Dad dort gelebt hat. Doch dann habt ihr euch aus den Augen verloren, bis du ihn mit Rosario in SimCity wiedergefunden hast."


Darek lächelt kurz. "Ja, soweit stimmt das sogar. Aber ich habe Arek in Warschau im Gefängnis kennengelernt." Joanna denkt zuerst, Darek macht einen Scherz. Doch als sie sieht, dass er ernst bleibt hört sie aufmerksam weiter zu. "Arek hat in Warschau gedealt und zwar im größeren Stil. Er wollte deinem Großvater nacheifern, dem großen Don Carlos, dem mächtigsten Drogenbaron von Kuba. Doch das hat nicht so ganz geklappt und Arek landete im Knast, da war er gerade 18 geworden, also nicht viel ältere als du. Und das Gefängnis hat ihm schwer mitgespielt. Er wäre daran zerbrochen, da bin ich mir sicher." "Und wie hast du ihn dort kennengelernt? Musstest du etwa auch eine Strafe absitzen?", fragt Joanna mit heiserer Stimme.


Darek nickt und Joanna kann nicht anders als schnell auf den Boden zu schauen, aus Scham vor Darek und ihm nächsten Moment aus Scham vor sich selbst. Doch Darek erzählt unbeirrt weiter. "Ich wurde einige Wochen nach Darek eingeliefert. Ich habe ein einziges Mal eine Unterschrift für einen Bekannten gefälscht und das hat mir zwei Jahre Gefängnis eingebracht. Ich kam in Areks Zelle und hab mich sofort in ihn verliebt. Ich wusste damals schon eine Weile, dass ich schwul bin. Bei Arek war das etwas anders. Er hat mir oft von seinen zahlreichen Freundinnen vorgeschwärmt und als wir uns dann das erste Mal näher kamen, dachte ich er nimmt mich, weil keine Frau da ist. Doch da habe ich mich geirrt, gewaltig geirrt. Diese zwei Jahr mit Arek im Gefängnis waren das Beste, was mir bis dahin passiert ist. Und für ihn wurden sie erträglich. Das Eingesperrtsein hat mir nicht viel ausgemacht, die Schikanen der Mithäftlinge dagegen schon und davor hat Arek mich geschützt. Und ich habe ihn gestützt, denn für ihn war es schlimm, eingesperrt zu sein. Er braucht Freiheit oder jemanden der ihm das Gefühl gibt frei zu sein. Und dieses Gefühl habe ich ihm gegeben."


Die beiden gehen langsam am Ufer des Sees entlang und bleiben von Zeit zu Zeit stehen und starren auf das dunkle Wasser. "Es war schlimm für Arek, als ich entlassen wurde. Denn er war wieder allein und das folgende Jahr war für ihn das Schlimmste, was er jemals erlebt hat. Als er entlassen wurde, hat er sich geschworen, niemals wieder ins Gefängnis zu kommen. Und Oxana hat ihn wieder dorthin gebracht. Verstehst du jetzt, warum er sie wegschicken musste." Joanna schüttelt mit dem Kopf. "Nein, ich verstehe ihn nicht. Schließlich waren es doch nur sieben Tage." "Sieben Tage können lang sein, aber es ging dabei um viel mehr als um sieben Tage."


"Du hättest ihn doch nicht wirklich angezeigt?!", ruft Joanna entsetzt aus und Darek schüttelt schließlich langsam mit dem Kopf. "Nein, ich hätte ihn nicht angezeigt. Hätte er nicht getrunken, dann wäre es nicht passiert, das weiß ich. Nein, Arek hat eine ganze Menge Dreck am Stecken. Er dealt zwar nicht mehr, dafür macht er aber ganz andere Sachen, die gegen das Gesetz verstoßen. Er erzählt mir nicht alles, aber alleine das, was ich weiß, reicht, um ihn für viele Jahre ins Gefängnis zu bringen." Er sieht Joanna an, die vor ihm steht und nicht weiß, was sie dazu sagen soll. Geahnt, dass etwas mit meinem Job nicht stimmt, hat sie immer. Was sie von der Wahrheit jetzt halten soll, weiß sie nicht.


"Joanna, ich vertraue dir, dass du das für dich behältst. Die Polizei ahnt schon länger etwas und..." Joanna unterbricht Darek. "Du kannst mir vertrauen, Paps. Von mir erfährt niemand etwas." Dankbar nimmt Darek Joanna in den Arm.

 

 


Und noch am selben Abend kommt Tobias um Joanna zu sehen. Sie hat ihn angerufen und er ist sofort gekommen. Sie küsst ihn mit so viel Zuneigung, dass es ihm fasst die Sprache verschlägt. "Hey Süße, was ist denn los?", fragt er besorgt, als er bemerkt, dass Joannas Augen sich mit Tränen füllen und er sanft eine aus ihrem Gesicht wischt. "Es geht mir gut", schluchzt sie, versucht dabei aber ihn anzulächeln. "Es ist nur viel passiert in den letzten Tagen."


Sie erzählt ihm alles. Wie Darek verletzt wurde, wie Oxana die Polizei rief und ich daraufhin verhaftet wurde und wie ich sie dafür aus dem Haus geworfen habe. Nur alles, was sie heute von Darek erfahren hat, lässt sie aus. Tobias nimmt sie tröstend in den Arm und hält sie einfach nur fest. Genau das hat sie jetzt gebraucht.


"Dass du mir trotz alldem am Wochenende geholfen hast, dafür bin ich dir unendlich dankbar." Tobias sieht sie mit Bewunderung an. "Das hättest du nicht tun müssen, auch wenn es ohne dich viel gefährlicher für mich geworden wäre." "Dir würde ich immer helfen, Tobi. Wenn du meine Hilfe wieder brauchst, dann sage es."


Und dann nimmt sie Tobias an der Hand und führt ihn hoch in ihr Zimmer. "Bleib heute Nacht hier", bittet sie ihn. Tobias schaut sie unsicher an. "Und deine Eltern?", fragt er vorsichtig. "Meine Eltern sollten sich daran gewöhnen, dass ich kein Kind mehr bin und meine eigenen Entscheidungen treffe." Und dann küsst sie ihn auch schon leidenschaftlich und beginnt damit ihm sein Sweatshirt auszuziehen.

 

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kor. 23.01.2011