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Mich interessierte das Ganze nicht. Es war mir egal, ob das Baby
ein Junge oder Mädchen wurde und es war mir auch egal, wie
sein Zimmer eingerichtet wurde. Oft saß ich nachts allein
im Garten und starte meinen Bauch an. Ich wartete darauf, dass
mich endlich ein Gefühl der Liebe und Zuneigung für
dieses Wesen übermannte, doch das einzige was ich spürte,
war ein unstillbarer Hunger. Also wärmte ich mir drei Portionen
Spaghetti vom Mittagessen auf und setzte mich damit wieder in
die kühlere Nachtluft. "Hier steckst du also jede Nacht",
stellte Dominik fest, als er aus der Dunkelheit zu mir an den
Tisch kam. "Alles in Ordnung bei dir?", fragte er leicht
besorgt, doch als ich nickte gab er sich damit zufrieden und verschwand
wieder im Bett.
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Doch mir ging es gar nicht gut. Nur konnte ich mit ihm nicht darüber
reden. Ich konnte mit niemandem darüber reden. Durch ihren
Job als Flugbegleiterin war Joanna fast nie zu erreichen und über
das Telefon konnte ich ohnehin nicht wirklich mit ihr reden. Ich
konnte ihr aber auch nicht meinen Aufenthaltsort verraten. Noch
nicht. So war es nicht verwunderlich, dass ich irgendwann einfach
vor dem Haus zusammenklappte.
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So fand mich dann Dominik, hysterisch, halb lachend, halb weinend
vor der Veranda im Dreck hockend. Er hob mich einfach hoch, und
trug mich ins Bett und wachte so lange über mich, bis ich
endlich eingeschlafen war. Am nächsten Morgen wollte ich
diesen Vorfall einfach ignorieren und so tun, als ob nichts geschehen
wäre, doch Dominik ließ das nicht zu. Für den
Rest der Schwangerschaft übernahm er mit Roland die Arbeit,
die auf dem Feld und bei den Rindern anfiel und verwöhnte
mich auch sonst bei jeder Möglichkeit. Ich glaube, ich verbrauchte
mehr Zeit mit Schaumbädern in der Wanne als jemals in meinem
Leben zuvor. Doch die Schuld und Leere, die ich empfand, konnte
das nicht lindern.
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Als ich an diesem Morgen aufwachte, plagte mich allerdings nicht
mein Gewissen, sondern Krämpfe in meinem Unterleib, die sich
schon die ganze Nacht hinzogen. Ich richtete mich schwerfällig
auch und sah, dass der Platz neben mir im Bett leer war. Ein Blick
auf den Wecker sagte mir, dass es sechs Uhr morgens und Dominik
sicher längst bei den Rindern war.
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Also stand ich auf und watschelte in die Küche, um mir einen
Tee gegen die Krämpfe zu brühen. Die Sandwiches von
gestern standen noch auf der Küchentheke und eine Horde Fliegen
hatte sich bereits auf ihnen versammelt. Bevor eines dieser Biester
noch in meinen Tee flog, wollte ich sie lieber wegräumen.
Doch gerade als ich den Teller ergriff, durchfuhr mich ein so
heftiger Schmerz, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Ich schrie
auf und krümmte mich zusammen. Oh Gott, das sollte aufhören!
Doch stattdessen folgte nur ein weiterer, noch schlimmerer Krampf.
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Das konnten doch noch nicht die Wehen sein! Dafür war es
noch eine Woche zu früh! Doch dann spürte ich schon,
wie das Fruchtwasser an meinen Beinen herunterfloss. Und wieder
ein Krampf, der mich zu Boden gehen ließ und dann wurde
alles schwarz.
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Als ich meine Augen wieder öffnete, war ich nicht mehr in
der Simlane. Es dauerte eine Weile, bis ich realisierte, dass
ich in einem Krankenhausbett lag. Die Tür ging auf und Roland
betrat das Zimmer in seinem Arztkittel. "Du hast uns aber
einen Schrecken eingejagt, Oxana". Verwirrt starrte ich ihn
an. "Als Dominik vom Feld nach Hause kam, lagst du bewusstlos
auf dem Boden. Er hat dich sofort ins Krankenhaus nach Seda Azul
gefahren. Du kannst von Glück reden, dass er dich rechtzeitig
gefunden hat sonst..." Instinktiv griff ich an meinen Bauch
und stellte fest, dass er ganz flach war. Roland deutete meine
Bewegung richtig. "Keine Angst, Oxana, mit der Kleinen ist
alles in Ordnung."
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Und da trat auch schon Dominik mit einem Neugeborenen auf dem
Arm an mein Krankenbett. "Guck mal, kleine Kinga, da ist
deine Mama." Er strahlte über das ganze Gesicht, als
er sich zu mir herunterbeugte und mir zum ersten Mal meine Tochter
zeigte.
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Ich setzte mich auf die Bettkante und stand auf. Ich war zwar
wacklig auf den Beinen, aber ich konnte mich halten. "Gib
sie mir", flüsterte ich heiser zu Dominik und er legte
mir vorsichtig das zerbrechliche Wesen in meinen Arm. Sie fühlte
sich ganz warm und weich an und kniff immer wieder ihre müden
Äugelein zusammen.
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Ich drückte sie vorsichtig an meine Brust und wartete. Wartet,
dass die Muttergefühle mich endlich überwältigten.
Doch es geschah nichts. Ich sah dieses Kind und sah die Sünde
vor mir, die ich begangen hatte. Tränen liefen über
mein Gesicht und ich drückte das Kind fester an mich, sodass
es begann, sich leicht zu winden. Dominik lachte leise. "Hat
die kleine Kinga die Mama etwa zu weinen gebracht?" Er legte
seinen Arm um mich, küsste mich auf die Stirn und strich
seiner Tochter behutsam über das kleine Köpfchen. Bei
mir bewirkte dies allerdings nur, dass ich noch stärker weinen
musste.
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Zwei Tage musste ich noch in der Klinik bleiben, doch dann durfte
ich nach Hause. Doch wirklich freuen konnte ich mich darüber
nicht. Ich sah Kinga an und wusste, dass sie meine Tochter war,
dass ich sie lieben sollte. Doch da war nichts. Ich kümmerte
mich um sie, zweifellos. Ich wechselte ihre dreckigen Windeln...
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...und gab ihr das Fläschchen, wenn sie Hunger hatte. Ich
konnte sie selbst nicht stillen und ganz insgeheim war ich froh
darüber. Und dafür schämte ich mich. Ich schämte
mich dafür, dass ich meine eigene Tochter nicht liebte.
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Insbesondere, wenn ich sah, wie liebevoll die anderen Menschen
in meinem Umfeld mit meiner Tochter umgingen. Ich wünschte,
ich könnte das auch. Ich wünschte mir es so sehr. Aber
ich konnte einfach nicht. Ich hasste Kinga nicht, aber ich mochte
sie nur so, wie man einen flauschiegen Pullover mag, nicht wie
man eine Tochter lieben sollte.
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Bei Dominik sah das ganz anders aus. Er liebte dieses Kind abgöttisch.
Und dabei war es nicht einmal sein eigenes. Aber das musste er
niemals erfahren. Wenn ich ihn zusammen mit Kinga sah, wie er
sie knuddelte, an ihrem Bäuchlein kitzelte und mit ihr Flugzeug
spielte und die Kleine einfach nur glücklich gluckste, dann
wusste ich, dass ich mir keinen besseren Ersatzvater für
sie hätte suchen können. Nein, Kinga würde keine
Kappe und auch keine Brodlowska sein. Sie würde eine Blech
werden.
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