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Er stellte sich als Bob Rembert vor und er würde uns in den nächsten Wochen sowohl die theoretische, als auch die praktischen Aspekte des Farmerlebens vermitteln. "Es ist wichtig, dass Sie sich der Verantwortung bewusst sind, die ein Leben als Farmer, gerade in einer Region wie der Sierra Simlone, mit sich bringt". Er blickte uns der Reihe nach eindringlich in die Augen. "Ohne uns Farmer, wäre dieser Teil der SimNation eine kahle, trostlose Wüste. Doch Dank unserer Arbeit, Dank unserer umfassenden Bewässerungsprogramme und Dank unsere Aufopferung für dieses Land ist es uns gelungen, die Sierra Simlone in eine fruchtbare Oase zu verwandeln. Doch denken Sie immer daran, wenn wir auch nur für einen Moment mit unseren Bemühungen aufhören, dann verwandelt sich dieses Land zurück in die Ödnis, die es ursprünglich war."
Insbesondere Roland war gefesselt von Bobs Ansprache und auch ich musste zugeben, dass es mich plötzlich stolz machte, bald einen wichtigen Anteil daran zu haben, die Sierra Simlone zu einem angenehmen Lebensraum für die Menschen zu machen.


Bob begann, uns ausführlich, das Klima der Sierra Simlone zu erklären und die Folgen, die dieses trockene und heiße Klima für die Nutzung des Landes bedeutete. Die Böden hier waren zwar trocken und unfruchtbar, aber die Sierra Simlone verfügte über riesige unterirdische Wasservorkommen, die regelmäßig mit dem Wasser der kräftigen Niederschläge in den Bergen um SimVegas aufgefüllt wurden und eine intensive Bewässerung des Landes erlaubten. Und Dank modernster Kunstdünger und spezieller Zuchtsorten, waren die weiten Ebenen der Sierra Simlone perfekt für die Landwirtschaft geeignet.

Unser erster praktischer Unterrichtsteil bestand darin, sich mit dem gängigen Pflanzen vertraut zu machen. Fenchel, Tomaten, Gurken, Hülsenfrüchte. Alles wurde hier angebaut. Alles mehr oder weniger erfolgreich. Insbesondere die sengende Sonne bereitete den meisten Pflanzen Probleme.
Bob gab uns den Auftrag, selbst zu experimentieren und anhand der Lehrbücher und seiner morgendlichen Vorträge zu erforschen, welche Maßnahmen zu treffen sein, um die Pflanzen am Leben zu erhalten. Allerdings war ich dabei nicht so erfolgreich. So musste ich feststellen, dass meine Tomaten alles andere als gut aussahen. Sie wirkten teilweise...gegrillt? Tristans Fenchel gedieh dagegen prächtig und Roland begann sich intensiv mit den Bodenverhältnissen und den notwendigen Düngern zu beschäftigen.


Nach etwa eineinhalb Wochen schickte Bob uns in die Maisfelder. Irgendetwas würde nicht stimmen, teilte er uns mit und wir sollten entscheiden, was dem Mais fehlte und welche Gegenmaßnahem zu treffen sein. Ich muss zugeben, dass ich damit absolut überfordert war. Für mich sah der Mais völlig normal aus. Wie Mais halt. Wir verbrachten fast zwei Stunden im Feld und untersuchten die Maispflanzen von der Wurzel bis zur Blüte.


Und schließlich war es Roland, der einen seltsamen bräunlich-roten Belag auf den Blättern der Pflanzen feststellt. Die Recherche in einem Buch über Pflanzenschädlinge offenbarte, dass es sich bei dieser Verfärbung um einen Pilz handelte, der sich mit einem dort aufgeführten Fungizid bekämpfen ließ. Wir teilten Bob unser Ergebnis mit und er beglückwünschte uns, denn wir hatten genau das herausgefunden, was er bereits gestern an den Pflanzen entdeckt hatte. "Dann können wir uns ja gleich daran machen, das Fungizid aufzutragen", erklärte er. "In der Scheune liegt die Ausrüstung bereit. Der Mais ist schon zu hoch, um mit dem Tracktor zu spritzen. Der Pilzbefall begrenzt sich auf etwa einen Hektar Mais. Wir könne also noch manuell spritzen." Ich atmete erleichtert auf. Ein Hektar konnte ja nicht so viel sein. "Das heißt, in zwei Tagen sollten wir damit fertig sein", beendete Bob seinen Vortrag und machte sich lachend auf den Weg zur Scheune.


Aus den zwei Tagen wurden schließlich dreieinhalb Tage. In der Schutzkleidung und unter der Atemschutzmaske war es fast nicht aushalten und das, obwohl wir die Arbeit in die frühen Morgenstunden und den Abend verlegten. Ich glaube, ich habe noch nie so viel geschwitzt wie in diesen Tagen.
Deshalb war ich auch unheimlich froh, als wir endlich von den Feldern wegkamen und uns mit der Tierzucht auseinander setzten. Auf der Farm selbst gab es zwar keine Schweinemast, aber es wurden hier Ferkel aufgezogen, die dann an Mastbetriebe weiterverkauft wurden. Die Ferkel waren schon sehr niedlich. Und wenn man in ihre Augen blickte, hatte man fast das Gefühl, einem Menschen ins Gesicht zu blicken. Zwar war es auch anstrengend, regelmäßig das Gehege vom Schweinedreck zu befreien, aber der Anblick der spielenden Ferkel entschuldigte für vieles.


Die Pferde waren dann doch etwas, wovor ich gehörigen Respekt hatte. Ich meine, die sind immerhin größer als ich und ich hatte keine Lust Bekanntschaft mit ihren Hufen zu machen. Doch Bob erlaubt mir nicht, diese Lektion ausfallen zu lassen. "Du wirst immer wieder mit Pferden arbeiten müssen, Oxana. Gerade hier in der Sierra Simlone sind wir immer wieder auf diese Reittiere angewiesen." Dann drückte er mir einige Werkzeuge in die Hand, die mich an Spatel erinnerten. "Das ist für die Hufe", erklärte er. "Du musst sie säubern und kontrollieren, ob die Eisen noch richtig sitzen. Wenn nicht, müssen wir sie neu beschlagen lassen".


Vorsichtig traute ich mich an eines der Pferde heran und strich ihm beruhigend über den Hals. "Ganz ruhig, mein Großer", sagte ich mehr um mich, als das Tier zu beruhigen und hob langsam den Huf des Tieres an. Tristan beobachtete mich mit Spannung, denn er würde das zweite Pferd übernehmen müssen. "Tristan!", unterbrach Rolands Ruf meine Konzentration und ich rutschte mit dem Spatel ab, worauf hin das Pferd kräftig zur Seite auswich und mich fast umwarf. "Was ist?", fragte Tristan ärgerlich, doch Roland winkte ihn nur zu sich hinüber. Dass ich fast zertrampelt worden wäre, interessierte scheinbar niemanden.


"Was willst du denn?", fragte er noch einmal, als er bei Roland ankam. "Kannst du mal auf den Misthaufen klettern?", erwiderte dieser. Tristan starrte Roland verwirrt an, aber als keine weitere Erläuterung folgte, tat er einfach, was Roland verlangte. "Und jetzt?". "Wenn du schon mal da oben bist, dann kannst du ja das Hühnerhaus ausmisten", schlug Roland mit unschuldigem Blick vor. "Die Schaufel liegt direkt neben dir. Ich kann derweil...äh...schon mal die Tomaten gießen." Er drehte sich um und verschwand in Richtung des Gemüsegartens. "Verdammt!", dachte Tristan und schaute Roland ungläubig hinterher. "Er hat mich hereingelegt!"


Gerade in den Mittagsstunden blieb uns immer etwas Freizeit. Es war einfach zu heiß und auch Bob legte dann gerne eine kleine Siesta ein. Bis auch uns drei, ihn und Gretchen gab es keine weiteren Menschen auf der Farm. Erst dachte ich, er und Gretchen wären verheiratet oder so, aber scheinbar waren sie es nicht, denn Gretchen verbrachte auffällig viel Zeit mit Roland und war dabei ständig am Kichern.


Ich glaube, dass sollten Flirtversuche darstellen. Aber sicher war ich mir nicht. Schließlich erkannte ich einen Flirtversuch ja selber kaum, wenn er mir nicht mit der Holzhammermethode präsentiert wurde. Egal, was es nun war, Roland ließ es sich nicht nehmen, Gretchen auf der Schaukel anzustoßen oder mit ihr Spaziergänge durch die umliegenden Maisfelder zu unternehmen. Aber ob er wirklich an Gretchen interessiert war? Immerhin war sie mindestens Mitte dreißig und ihr Hausfrauencharme so gar nicht Rolands Typ.


Gleich am ersten Tag auf der Farm fiel Roland ein Klavier auf, welches im Klassenzimmer stand. Die dicke Staubschicht ließ darauf schließen, dass es nicht sehr häufig genutzt wurde. Aus diesem Grund starrte Roland es die ersten Tage nur an, traute sich aber nicht darauf zu spielen. Erst als Bob und Gretchen eines Tages nach Ganado Alegro mussten, um einige Einkäufe zu erledigen, sah er seine Chance. Er hob die Klappe an und stellte ein Notenheft auf, welches er schon vor drei Tagen in einem der Bücherregale gefunden hatte. Und dann begann er zu spielen. Und nicht irgendwelche Kinderlieder wie "Alle meine Entchen" oder den "Flohwalzer", wie ich es gerade noch so hinbekommen hätte. Nein, er spielte Stücke von Bach und Mozart und sie hörten sich selbst auf diesem verstimmten Klavier herrlich an. Roland hatte zwar mal erwähnt, dass er als Kind Klavierstunden genommen hatte, aber mit so einem Talent hatte ich nicht gerechnet.


Er beendet gerade sein Spiel und packte das Notenheft zurück in das Regal, als sein Blick auf eine Glas fiel, welches in der Ecke neben dem Klavier stand. "Was ist denn das?", dachte er und schaute neugierig hinein. Als er nichts erkennen konnte, pustete er kräftig hinein und wirbelte damit den Staub auf, der sich dort über Monate angesammelt haben musste. Schnell kniff er die Augen zusammen um sich vor den herumwirbelnden Schmutzteilchen zu schützen und musste laut niesen. Als er noch mal in das Glas spähte, konnte er gerade noch erkennen, wie ein Spinne herauskletterte und sich geschickt an einem dünnen Faden zum Boden herabließ und hinter dem Klavier verschwand. Ansonsten war das Glas leer.


Wir waren schon zwei Wochen auf der Farm, als plötzlich eine ganze Horde Menschen hier auftauchten. Und es waren eindeutig keine Farmhilfen. Und dann kam die große Überraschung. Bob öffnete eine Tür im Erdgeschoss der Farm, die bis dahin immer verschlossen war und offenbarte uns eine Bowlingbahn. "Zweimal im Monat können die Bewohner aus Ganado Alegro und den umliegenden Farmen zum Bowlen kommen", erklärte er uns. "Diese Bahn hat noch mein Vater errichtet und seitdem ist sie eine feste Institution in dieser Gegend." Bob gab uns für den Rest des Tages frei und erlaubte uns, ebenfalls zu spielen. Tristan stellte sich zwar nicht sehr geschickt an, aber so erging es auch mir. So war unser Spiel wenigsten ausgeglichen und bis zum Schluss spannend.


Roland entpuppte sich dagegen als wahres Naturtalent im Bowling. Aber das überraschte mich eigentlich nicht wirklich. Roland war eigentlich in jedem Bereich gut. Egal ob es darum ging, Klavier zu spielen, Fitnessübungen zu machen, die Dusche zu reparieren, zu kochen oder eben auch zu bowlen. Ein Strike folgte dem nächsten und er führte jedesmal einen Freudentanz auf und fing sich dabei Gretchens bewundernde Blicke ein. Aber es machte auch Spaß ihm zuzusehen. Irgendwo konnte ich Gretchen da verstehen.


Und plötzlich schlug er vor, dass wir die Instrumente, die sich auf der anderen Seite des Raumes befanden austesten sollten. Eigentlich fragte er Tristan und mich nicht wirklich, sondern schob uns zum Schlagzeug und zum Bass und schnappte sich selbst die Gitarre. Doch während Tristan wagemutig begann, den Bass zu bedienen, stand ich wieder vom Schlagzeug auf. Roland guckte mich böse an. "Los mach schon, Oxana. Sei keine Spielverderberin!". Ich schüttelte mit meinen Zöpfen. "Ich singe lieber". Damit war Roland auch zufrieden und grinste mich an. "Na dann los!"


"Almost heaven, West Virginia
Blue Ridge Mountains, Shanandoah River
Life is old there older than the trees,
Younger than the mountains, blowing like the breeze.
Country roads, take me home to the place I belong
West Virginia. Mountain mama, take me home, country roads
."


Die zahlreichen Übungsstunden unter der Dusche zahlten sich aus. Zumindest hatten die übrigen Besucher der Farm ihren Spaß. Sei es nun, weil wir so gut waren, oder weil sie sich über uns lustig machen konnten. Das war mir irgendwie egal, schließlich kannte mich ja niemand aus Ganado Alegro. Roland legte dann noch mal richtig los und lieferte den Zuschauern ein aufregendes Gitarrensolo. Gitarre spielen konnte er also auch.

 


Ein paar Tage später kam Benny mich überraschend besuchen. "Ich dachte, du müsstest zum Viehtrieb nach SimVegas?", begrüßte ich ihn überschwänglich. Mit ihm hätte ich nun wirklich nicht gerechnet und ließ ihn kaum zu Wort kommen, weil ein Kuss dem nächsten folgte. "Ich hab es ohne dich nicht mehr ausgehalten und bin mit dem Jeep hergefahren. Mein Chef weiß nichts davon und ich muss morgen früh wieder bei der Herde und den anderen sein."


Das war ja so lieb von ihm. Einfach alles stehen und liegen zu lassen, nur um mich zu sehen. Wir schlenderten Hand in Hand zur Veranda des Haupthauses und ließen uns auf der Bank nieder. Benny musste kichern, als ich anfing ihn im Nacken zu kraulen. Das machte er immer, wenn ich das tat und ich fand es süß, wie alles andere an ihm auch. Wir blieben sehr lange dort sitzen, bis Benny schließlich los musste, wenn er es noch vor Anbruch des Morgens zurück zur Herde schaffen wollte.


Bennys Besuch hatte mir neue Kraft für die folgenden Tage gegeben. Und es kam mir auch ganz recht, dass Bob uns nun die Pflege der Rinder anvertraute. So fühlte ich mich Benny irgendwie verbunden, der jetzt irgendwo zwischen Ganado Alegro und SimVegas war, um die Rinderherde seines Chefs zum Viehbahnhof in SimVegas zu treiben, von wo aus das Vieh dann zu den Metropolen der SimNation, wie Simtropolis und SimCity, verfrachtet wurde.
Tristan und Roland betrachteten die Rindviecher eher vorsichtig, wobei eine der Kühe ihre raue Zunge Richtung Rolands Hand ausstreckte und dabei mit ihren Augen rollte. Rolands Hand zuckte intuitiv weg und ich musste über seine Angst lachen. "Das sind doch nur freundliche, große Vegetarier".


Obwohl die Farm über einen automatischen Melkroboter verfügte, wollte Bob, dass wir auch lernten, die Milchkühe mit der Hand zu melken. "Man kann schließlich nie wissen, wann die Technik einmal versagt", begründete er seine Entscheidung. "Und auf Eure Hände ist immer verlass". So große Angst ich auch vor den Pferden gehabt hatte, die Rinder waren mir sofort vertraut. Ich platzierte einen Eimer unter die Euter des Tieres und hockte mich auf ein Dreibein, welches griffbereit neben dem Gatter stand. Und auch wenn es eine Weile dauerte, bis ich die richtige Technik heraus hatte, schließlich spritzte die Milch mit kräftigen Strahlen abwechselnd aus einer der zwei Zitzen, die ich in meinen Händen hielt.

 

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kor. 11.10.2008