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Dominik hatte Recht, das wusste ich. Trotzdem kostete es mich viel Überwindung ins Auto zu steigen und nach Simtropolis zu fahren. Bereits als ich aus dem Wagen stieg, begann ich zu zittern. Das lag sicherlich nicht nur an dem kühlen Wetter, das, im Gegensatz zur heißen Sierra Simlone, in dieser Gegend der SimNation herrschte. Ich hatte Angst. Ich hatte Angst Dad gegenüberzutreten, weil ich nicht wusste, was mich erwarten würde. Hier in Simtropolis hatte meine Reise damals vor vier Jahren, nachdem Dad mich aus dem Haus geworfen hatte, angefangen. Diese Stadt war damals der einzige Anhaltspunkt gewesen, um meine Mutter zu finden. Und in eben dieser Stadt sollte es wieder zur Versöhnung kommen?


Und dann sah ich ihn. Er saß alleine auf der Terrasse des Café Simnational. Die anderen Gäste tranken ihren Kaffee im Inneren des Lokals, was an diesem kühlen Herbstnachmittag verständlich war. Doch Dad saß draußen und schaute von Zeit zu Zeit ungeduldig auf die Uhr und blickte zur Straße. Rasch versteckte ich mich hinter der Ecke des Gebäudes, so dass er mich nicht sofort erkannte. Denn ich brauchte noch etwas Zeit zum Nachdenken. Ich wusste noch immer nicht, wie ich ihm gegenüber treten sollte. Es war einfach so viel zwischen uns vorgefallen.


Ich war fast so weit, endlich Dad gegenüberzutreten, als plötzlich ein unbekannter Mann zu ihm herüber trat. Dad begann ihn zu mustern und scheinbar gefiel ihm, was er sah, denn er lächelte diesen Mann interessiert an. Sie begannen sich zu unterhalten, wobei ich kaum etwas verstehen konnte. Doch immer wieder konnte ich die beiden lachen hören.


Und dann musste ich mit ansehen, wie sie sich gegenseitig anzügliche Blicke zuwarfen, immer wieder kurzen Köperkontakt herstellten. Bis Dad dann wieder auf die Uhr sah. Er schien sich bei dem anderen Typen zu entschuldigen, doch dann holte er einen Zettel raus und schrieb etwas darauf. Ich konnte nur vermuten, dass es seine Handynummer war, die er dem Typen dann in die Brusttasche seines Hemdes steckte. Dad sah dem Unbekannten noch eine Weile hinterher, als dieser das Café verließ und grinste vor sich hin. Dann setzte er sich wieder an den Tisch und beobachtete erneut die Straße.


Die Szene, die ich gerade mitverfolgen musste, schockte mich zutiefst. Ich hatte nicht erwartet, dass Dad nach Paps Tod zum Eremiten werden würde. Aber ihn beim Flirten mit einem anderen Mann zu sehen, traf mich unvorbereitet. Und plötzlich kamen alle die Gefühle wieder hoch. Dieser tiefe Hass, den ich Dad gegenüber empfand. Lief es etwa so die ganzen zwanzig Jahre in denen er mit meinem Vater verheiratet war? Hatte er etwa in jeder Stadt, in die er kam, sofort den nächsten Liebhaber bereit gehabt?


Ich wollte nur noch weg. Nein, Dad hatte es nicht verdient, dass ich ihm verzieh! Doch wenn ich einfach nicht zu unserem Treffen auftauchte, dann würde er sich wahrscheinlich wieder bei mir melden. Und das wollte ich erst recht nicht. Also rief ich ihn an. "Dad, ich werde es leider nicht schaffen", erklärte ich knapp. "Kinga ist krank geworden und ich kann jetzt unmöglich hier weg. Ich werde mich bei dir melden." "Ok", überraschenderweise klang Dads Stimme hörbar enttäusch. "Ich werde auf einen Anruf von dir warten, Oxana. Ich freue mich schon." Einen Moment zweifelte ich, ob ich das richtige tat. Doch als ich einen letzten Blick auf Dad warf, wusste ich, dass ich ihm einfach nicht verzeihen konnte.

 

 


Ich meldete mich nicht bei Dad. Wochen vergingen und Dad versuchte kein einziges Mal, noch einmal Kontakt mit mir aufzunehmen. Scheinbar hatte er verstanden, dass ich ihm nichts zu sagen hatte. Die Mädchen wuchsen in dieser Zeit unheimlich schnell heran. Man konnte fast dabei zusehen, wie sie größer wurden und Tag für Tag neue Dinge lernten. Seitdem sie laufen konnten, folgten sie uns überall hin. Constance lachte immer noch nicht, sie suchte auch nicht die körperliche Nähe, wie Kinga es insbesondere bei Dominik tat. Aber trotzdem beobachtet sie immer aufmerksam, ob jemand von uns in der Nähe war. Nur dann konnte sie sich wirklich in ihr Spiel vertiefen. Das Verhältnis zwischen Dominik und Roland blieb weiterhin angespannt. Die beiden gingen sich zwar nicht mehr in die Haare, aber mehr als das Allernötigste sprachen sie auch nicht miteinander.


"Ist unsere Kleine nicht ein wirklicher Engel?" Dominik war unbemerkt ins Kinderzimmer getreten und beobachtete mich dabei, wie ich Kinga ins Bettchen brachte. "Ja, das ist sie", musste ich ihm zustimmen. Kinga war wirklich eines der ruhigsten und liebsten Kinder, die ich jemals erlebt hatte. Inzwischen schlief sie problemlos die ganze Nacht durch und wenn man sie einmal alleine ließ, dann beschäftigte sie sich mit sich selbst. Selbst wenn Constance anfing zu schreien, blieb sie einfach ganz ruhig in ihrem Bettchen liegen.


"Sie ist das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist", erklärte Dominik stolz. "Du hast mich so glücklich gemacht, Oxana. Ich hätte das nie für möglich gehalten." Er legte seine Hände auf meine Schultern und küsste sanft meinen Nacken. Es war schön, diese Worte zu hören. Und trotzdem, ich wünschte, Albert würde jetzt hinter mir stehen und gemeinsam mit mir unser Kind betrachten. Es wäre so schön.


Dominik drehte mich zu sich herum und sah mir tief in die Augen. Das schelmische Grinsen auf seinem Gesicht war einem ernsten Ausdruck gewichen, den ich sonst bei ihm nicht kannte. "Ich liebe unsere Tochter, Oxana. Und ich liebe dich. Gleich am ersten Tag als ich dich sah, wusste ich, dass du die einzige Frau für mich bist." Ich starrte ihn verwundert an, weil mich diese Worte überraschten. Ich hatte nicht gewusst, dass ich ihm so viel bedeutete. Das hatte ich wirklich nicht. Doch als er plötzlich auf die Knie sank, blieb mir fast die Luft weg. Ich wusste ganz genau, was jetzt folgen würde und ich war wie gelähmt.


Dominik holte ein kleines dunkles Schmuckkästchen hervor und öffnete es langsam. Es war ein perfekter Moment. Der Schein des Vollmondes strahlte durch das Fenster des Kinderzimmers und ließ den Diamantring im inneren der Schatulle in funkelnden Glanz erstrahlen. "Oxana, ich will, dass die ganze Welt weiß, wie sehr ich dich liebe und wie glücklich du mich machst. Bitte werde meine Frau." Es war der perfekte Moment, es waren die perfekten Worte. Doch er war der falsche Mann. Ich sah den glänzenden Ring und ich sah Dominiks Augen, die vor Erwartung funkelten. Aber ich konnte ihn nicht heiraten. Ich liebte einen anderen. Aber wie sollte ich ihm das erklären? Wie konnte ich jetzt bloß "Nein" sagen, ohne dass mein Geheimnis unwiderruflich ans Tageslicht käme.


Ein Zucken an meinem Oberschenkel ließ mich aufschrecken und befreite mich aus meiner Erstarrung. Dem Vibrationsalarm meines Handys folgte sogleich der Klingelton. "Ich muss rangehen, die Kinder werden sonst wach", redete ich mich hastig heraus und holte das Handy aus meiner Tasche. Ich sah die Enttäuschung in Dominiks Gesicht, als er sich langsam wieder aufrichtete. Es war Joanna die anrief. Sie sprach so hastig, dass ich kaum etwas verstehen konnte. "Es tut mir leid", flüsterte ich Dominik entschuldigend zu, der das Schmuckkästchen in seinen Händen langsam schloss und richtete meine volle Aufmerksamkeit auf meine Schwester.


"Noch einmal ganz langsam, Jojo. Ich kann dich kaum verstehen. Was ist passiert?" Meine Schwester schluchzte mehrmals heftig, bevor sie weitersprach. "Dad ist tot, Xana. Er ist tot." Sie brach komplett in Tränen aus und schluchzte bitterlich. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. "Wie?", hauchte ich benommen. "Er...er ist mit der Yacht rausgefahren." Joannas Stimme zitterte so sehr, dass ich Schwierigkeiten hatte, alles zu verstehen. "Dad hatte wieder einmal getrunken. Dann ist er hinüber zum Hafen. Er wusste, dass ein Sturm im Anmarsch war. Und trotzdem ist er rausgefahren. Die Küstenwache hat drei Tage nach ihm gesucht. Und heute haben sie die Trümmer des Botes gefunden. Etwa hundert Kilometer von Festland entfernt. Er hatte keine Chance."


Ich stand da und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Ich hätte Joanna so gerne getröstet, doch ich wusste nicht wie. Ich...ich musste erst einmal selber damit fertig werden. Dad lebte nicht mehr? Und plötzlich spürte ich, wie sich in meinem Herzen ein tiefer Schmerz ausbreitete. "Oxana, ich glaube, er wollte sterben", flüsterte Joanna, nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. "Warum sonst hätte er in den Sturm rausfahren sollen?" Ich schwieg. "Ich muss noch so viel Organisieren, Xana. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Die...die Beerdigung muss geplant werde. Ich muss einen Bestatter anrufen und die Gäste einladen. Und die Blumen! Was für Blumen soll ich bloß bestellen?" Joanna wurde wieder hysterisch. "Du schaffst das schon, Jojo", versuchte ich sie aufzumuntern. "Du wirst doch kommen, Xana? Du wirst zu Dads Beerdigung komme?" Ich schluckte tief, denn die Antwort fiel mir nicht leicht. "Du solltest lieber nicht mit mir rechnen, Jojo. Verzeih mir."


Was folgte, war ein gemeinsames Weinen mit meiner Schwester am Telefon. Erst nach zwei Stunden legte Joanna auf. Am Ende hatte sie akzeptiert, dass ich nicht zu Dads Beerdigung kommen würde. Aber ich wusste, dass sie es nicht verstand. Sie hatte Dad schon immer vergöttert und ihm alles verziehen. Ich konnte das nicht. Erschöpft legte ich mich ins Bett. Dominik schlief schon. Dann fiel mir der Antrag wieder ein. Ich schaute mich hastig um, doch der Ring war nirgends zu entdecken. Ich wusste nicht, ob es die Erleichterung war oder doch die Trauer, aber ich schloss meine Augen und begann heftig zu schluchzen.


Mein Weinen musste wohl Dominik geweckt haben. Er richtete sich auf und kam dicht zu mir herüber. "Brodlowska, du musst nicht weinen, nur weil ich schon eingeschlafen bin", scherzte er herum. "Du brauchst mich nur zu wecken, dann mache ich dich sofort glücklich." "Warum bist du nur so lieb zu mir?", fragte ich schluchzend. "Weil du es verdienst." Dann küsste er mich und ich küsste ihn zurück. Und als seine Hände meinen Körper streichelten und immer fordernder wurden, ließ ich ihn gewähren. Und zum ersten Mal seit langer Zeit, ließ ich ihn meine Leidenschaft spüren, die sonst so oft fehlte, wenn wir miteinander schliefen. Denn das war das mindeste, was er verdient hatte.

 

 


Diese Nacht mit Dominik war...war wirklich schön gewesen. Und dennoch fühlte ich mich am nächsten Morgen schuldig und dreckig. Denn ich hatte Dominik wieder einmal nur benutzt. Er war da gewesen, um mir den Kummer von der Seele zu nehmen, als ich Halt brauchte und nur deshalb hatte ich mich ihm so hingegeben. Noch bevor er aufgestanden war, verließ ich das Haus und ging in das Kloster St. Ansbald. Dieser Ort war so angenehm und beruhigend und trotzdem konnte ich die Unruhe in meiner Seele nicht besänftigen.
Das falsche Spiel, das ich mit Dominik trieb, wuchs mir allmählich über den Kopf und ich wusste einfach nicht, wie ich aus dieser Situation entkommen konnte. Eins stand für mich fest: Ich konnte Dominik auf keinen Fall heiraten.


Und dann war da noch Dad. Erst hier in der Stille des Klosters begriff ich, dass er wirklich tot war, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Ich würde ihm nie mehr verzeihen können. Diese Erkenntnis traf mich sehr. Er war ein Schwein gewesen, oh ja, dass war er wirklich! Aber er war auch mein Vater. Er hatte mich aufgezogen, mich zum Kindergarten gebracht, mich von der Schule abgeholt. Und so sehr ich ihn später auch verachtet hatte, im Hinterkopf hatte ich immer gewusst, dass ich ihm eines Tages verzeihen würde. Es wäre dann so, wie vor der Zeit, als er mich aus dem Haus geworfen hatte. Und er wollte auf mich zugehen. Er wollte sich in Simtropolis entschuldigen, aber ich habe ihn weggestoßen, weil ich zu stolz war, ihm zu verzeihen. Und jetzt war es zu spät. Was ist, wenn er meinetwegen sterben wollte? Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los und grub sich tief in mein Herz. Dad ist gestorben, weil ich ihm nicht verzeihen wollte.


Eine alte Nonne trat zu mir herüber. "Kind, warum weinst du denn? Ich sehe dich so oft bei uns im Kloster am Brunnen sitzen und jedes Mal wirkst du so traurig." Ich stand auf und versuchte mir die Tränen aus den Augen zu wischen, doch es wollte mir nicht gelingen. Also gab die Alte mir einen Rat. "Manchmal mag es so erscheinen, als ob es keinen Ausweg mehr gäbe. Es sieht so aus, als ob Gott dich verlassen hätte, mein Kind. Aber du musst vertrauen. Unser Gott ist ein guter und gütiger Vater. Was immer auch auf deiner Seele lasten mag, er wird dich leiten. Er verlässt seine Kinder nicht. Glaube nur fest daran und alles wird sich zum Guten wenden."

 

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kor. 13.08.2010