|
"Und wann hattest du vor mir davon zu erzählen! Etwa
wenn ich selber schwanger wäre und keine Chance mehr hätte
zu entkommen?!" Brandis aufgebrachte Stimme schrillte durch
das ganze Haus. Ich wollte ganz sicher nicht lauschen, aber bei
dieser Lautstärke blieb mir gar nichts anderes übrig.
Das Gespräch zwischen Roland und Brandi verlief eindeutig
nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Er hatte seine Freundin
eingeladen und ihr das Kind gezeigt und zunächst schien sie
es auch noch ganz niedlich zu finden. Ungewöhnlich, aber
niedlich. Bis sie schließlich erfahren hatte, dass dieses
ungewöhnliche Kind die Tochter ihres Freundes war.
|
|
"Beruhigen? Ich will mich nicht beruhigen, Roland",
schmetterte sie seine Versuche ab, sie wieder zur Besinnung zu
bringen. "Und erzähl mir nicht noch einmal diesen Scheiß
von wegen, du hättest nichts davon gewusst! Das glaube ich
dir einfach nicht!" Roland wusste einfach nicht, was er ihr
noch sagen sollte. Er hat es ihr immer und immer wieder erklärt,
doch Brandi wollte einfach nicht hören. "Hast du etwa
gedacht, du zeigst mir die Kleine und dann spielen wie Vater,
Mutter, Kind?", schrie Brandi in weiterhin an. "Aber
da hast du dir die Falsche ausgesucht. Mit mir kannst du so etwas
nicht machen. Du mieses Arsch!"
|
|
Bei den letzten Worten veränderte sich der Klang ihrer Stimme.
"Mit mir nicht!", schluchzte sie und rannte an ihm vorbei
zur Tür. Kurz bevor sie rausging drehte sie sich noch einmal
um und begann hysterisch zu lachen. "Und ich blöde Kuh
hab geglaubt, dass du mich wirklich liebst. Wie konnte ich nur
so blöd sein?" "Brandi, ich liebe dich doch",
startete Roland einen letzten verzweifelten Versuch, doch sie
winkte bloß ab. "Ich bin gerade 21! Wie kannst du da
erwarten, dass ich Ersatzmama für das Kind von irgendeiner
deiner Frauen spiele?" In diesem Moment löste sie sich
komplett in Tränen auf. Ich versuchte bloß keine Aufmerksamkeit
auf mich zu lenken. Vielleicht würde ich dann unsichtbar
werden und dieser höchst unangenehmen Situation entkommen
können. Doch natürlich passierte nichts in der Art und
ich musste diesen unschönen Moment hautnah mitverfolgen.
"Ich will dich nie wiedersehen!", brüllte Brandie
ihn an, bevor sie die Tür hinter sich zuknallte. Dann wurde
es ganz still im Raum.
|
|
Roland starrte eine Zeitlang wortlos auf die Tür. Dann sah
er betrübt zu mir herüber. "Was soll ich denn jetzt
machen?", fragte er hilflos. "Ich will Brandi nicht
verlieren." Er war den Tränen nahe. Ich versuchte aufmunternd
zu lächeln, aber eine Antwort hatte ich nicht. Vielleicht
würde Brandi sich wieder beruhigen? Allerdings hatte sie
so enttäuscht geklungen, dass ich nicht unbedingt darauf
bauen würde. "Ich...ich möchte einen Moment alleine
sein", sagte er schließlich. "Kannst du bitte
so lange auf Constance achtgeben?"
|
|
|
Natürlich konnte ich das. Wozu hat man sonst gute Freunde.
Und auf eine seltsame Weise verzauberte mich dieses Kind. Obwohl
sie sich wehrte, wenn ich sie auf den Arm nehmen wollte, obwohl
sie nie lächelte, wenn ich sie ansah, konnte ich nicht anders,
als dieses kleine Wesen zu lieben. Das Gefühl, das ich bei
Kinga bis heute vermisste, überkam mich bei Constance in
dem Moment, als ich sie zum ersten Mal im Arm hielt. Und dieses
Gefühl war so überwältigend, dass ich es kaum beschreiben
konnte.
|
|
In den nachfolgenden Tagen verbrachte ich viel Zeit damit, auf
die Kinder aufzupassen. Es machte mir Spaß, mich einfach
zu den Kleinen auf den Boden zu setzen und sie beim Spielen zu
beobachten. Besonders Constance faszinierte mich. Ich konnte mich
daran kaum satt sehen, wenn sie das Wackelkaninchen in ihre unbeholfenen
Hände nahm und an den Ohren herumriss. Sobald Constance ein
Spielzeug in die Hände hielt, versank sie in eine Phantasiewelt,
die nur sie kannte und wenn man genau hinschaute, konnte man die
Andeutung, aber nur die Andeutung, eines Lachens erkennen.
|
|
Ich hoffte, dass sich diese Gefühle, die ich für Constanze
empfand, auch auf Kinga übertragen würden. Doch das
taten sie nicht. Kinga war für mich nach wie vor wie das
Kind einer Fremden. Ich wollte sie lieben. Ich wollte es so sehr,
doch ich konnte einfach nicht. Zumindest nicht so stark, wie ich
sie hätte lieben müssen. Wenn sie schlief, ging ich
an ihr Bettchen und streichelte ihr sanft über den Kopf.
Und leise betete ich zur Heiligen Mutter, dass ich meiner Tochter
endlich die Liebe schenken konnte, die sie verdiente. Denn ich
verfügte über diese Liebe. Die wenigen Tage mit Constance
haben mir das deutlich gezeigt und umso schwerer wog meine Schuld
Kinga gegenüber.
|
|
Und umso erleichterter war ich, dass meine Kleine ihren "Dada"
hatte. Wenn Dominik nachmittags von der Arbeit kam, begrüßte
er als erstes seine kleine Prinzessin. Und jedes Mal freute sie
sich wie eine Schneekönigin. Och, ich hatte riesige Zweifel,
ob meine Entscheidung richtig gewesen war, Dominik meine Liebe
vorzutäuschen und ihm das Kind eines anderen unterzuschieben.
Aber wenn ich ihn zusammen mit Kinga sah, dann wusste ich, dass
ich mir für sie keinen besseren Vater hätte aussuchen
können. Gemeinsam mit ihm lernte Kinga das Töpfchen
zu benutzen.
|
|
Und gemeinsam mit ihm machte sie ihre ersten wackligen Schritte
auf zwei Beinen. Wenn "Dada" bei ihr war, dann schien
alles zu funktionieren, selbst die Dinge, die ihr alleine noch
völlig unmöglich schienen. So glücklich wie mit
Kinga, hatte ich Dominik nur selten erlebt und genau dieser Anblick
nahm mir ein wenig von der Schuld, die auf meiner Seele lastete.
|
|
Und dann schlichen sich Gedanken in meinen Kopf, wie schön
es doch wäre, wenn alles nicht bloß eine große
Lüge wäre. Wenn er tatsächlich Kingas Vater wäre,
wenn ich nicht nur so tun würde, als ob ich ihn liebe, sondern
es auch tatsächlich täte, wenn ich endlich meine Tochter
so lieben könnte, wie sie es verdiente. Wenn ich die beiden
zusammen sah, war es mir fast unbegreiflich, warum ich es nicht
tat. Doch mein Herz hörte nicht darauf, was das Beste wäre.
Es schlug nun mal nur für einen Mann. Nur für Albert.
|
|
|
Die Wochen vergingen und Constance lebte sich gut bei uns ein.
Ihr Bettchen haben wir einfach in Kingas Zimmer hinzu gestellt.
Das entpuppte sich teilweise als etwas unklug, da so beide Kinder
sich gegenseitig weckten, aber das war nun mal die einfachste
und kostengünstigste Lösung.
Roland versuchte immer wieder, bei Brandi anzurufen und sie um
Verzeihung zu bitten. Doch sie ließ nicht mit sich reden.
Meistens legte sie direkt auf oder hob erst gar nicht ab. Roland
tat mir wirklich leid. Ich hatte immer noch die Hoffnung, dass
Brandi sich mit ihm aussprechen würde, wenn erst einmal etwas
Zeit vergangen war. Aber für Roland war diese Situation unerträglich.
Langsam begriff ich, wie Benny sich gefühlt haben musste,
als ich ihn damals scheinbar ohne Grund verlassen hatte. Mir war
nie bewusst gewesen, wie sehr ich ihn dadurch verletzt hatte.
|
|
"Ich sollte mich bei Gelegenheit wirklich bei Benny entschuldigen",
murmelte ich vor mir her als ich das Haus verließ um mit
dem Kleintransporter raus zur Herde zu fahren. Roland hatte gerade
wieder einmal ohne Ergebnis versucht, Brandi zu erreichen. Plötzlich
klingelte mein Handy. Ich strahlte über das ganze Gesicht,
als ich den Namen meiner Schwester im Display sah. Wir hatten
schon lange nicht mehr miteinander telefoniert. "Hi, Jojo.
Na, wie geht’s den meiner Lieblings-Zwillingsschwester?",
rief ich fröhlich in den Hörer.
|
|
"Bitte leg nicht auf." Beim Klang dieser Stimme erstarrte
ich zu einer Salzsäule. "Oxana? Bist du noch dran?".
Ich weiß nicht, wie lange ich schon reglos dastand, aber
es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Was sollte ich bloß tun?
Auflegen? Anfangen loszuschreien? Weinen? Ich wusste es nicht.
Auf diesen Moment war ich einfach nicht vorbereitet. Langsam wich
der Schock und meine Muskeln entspannten sich wieder. Ich schluckte
tief und begann dann zu sprechen. "Ja, ich bin noch dran."
Meine Stimme war vollkommen heiser. "Was willst du, Dad?"
|
|
"Ich will nur mit dir sprechen, Oxana. Sonst nichts."
Das war schwer zu glauben. Als wir uns das letzte Mal begegnet
sind, hatte er mich angeschrien und mich von der Beerdigung meines
Vaters vertrieben. Und jetzt wollte er nur sprechen? Nach all
der Zeit? "Ich habe gehört, dass ich Großvater
geworden bin. Tu nicht so überrascht", warf er ein,
als er meine heftiges Atmen hörte. "Stasia konnte es
nicht für sich behalten, sei deiner Großmutter nicht
böse. Aber deswegen rufe ich nicht an, Oxana. Ich habe Fehler
gemacht. Ich...ich würde dich gerne sehen. Bitte, gib mir
diese Chance...auch wenn ich sie vielleicht nicht verdient habe."
|
|
Ich war sprachlos. Anders konnte man es nicht beschreiben. Im
Grunde hatten wir seit viereinhalb Jahren kein Wort mehr miteinander
gewechselt und plötzlich rief Dad mich an um...um sich zu
entschuldigen? Ich verstand die Welt nicht mehr. "Ich werde
am Samstag in Simtropolis sein. Ich werde gegen Mittag im Café
Simnational warten. Ich...ich hoffe, dass du kommen wirst".
Dann legte er auf, ohne auch nur meine Antwort abzuwarten. Vielleicht
war es auch besser so, denn ich hätte nicht gewusst, wie
ich reagieren sollte.
|
|
Immer noch verwirrt stolperte ich zurück ins Haus und lief
Dominik genau in die Arme. "Brodlowska, was ist los? Du siehst
aus, als ob du einen Geist gesehen hättest." Seine Stimme
klang merklich besorgt. Anscheinend sah ich tatsächlich mitgenommen
aus. Er nahm vorsichtig meine Hand und streichelte sie. "Mein...mein
Dad hat mich gerade angerufen. Er will mich sehen", erklärte
ich benommen. Dominiks Griff wurde fester und er sah mir tief
in die Augen. "Dann solltest du sein Angebot annehmen, Brodlowska.
Und wenn du es nicht für ihn tun willst, dann tue es für
dich. Du weißt, dass du sonst nie mit der Vergangenheit
abschließen kannst."
|
|
|
|
|
|
|
|