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Doch der Typ ging. Er sah mich zwar wenig freundlich an, aber er verließ den Saloon und ich sackte absolut fertig auf einem Stuhl zusammen. Es dauerte eine Weile, aber dann war ich wieder so weit gefestigt, dass ich meine Arbeit aufnehmen konnte.
"Oxana, Herr Longhorn ist im Anmarsch", hörte ich Aron mir noch zuflüstern kurz bevor eben dieser vor mich trat. "Frau Brodlowska", begann er im harschen Tonfall, "ich habe heute eine Beschwerde über sie von einem unserer Stammkunden erhalten. Sie hätten ihn grundlos aus dem Lokal geworfen. Ich wünsche, dass so etwas nicht mehr vorkommt!"


Ich hatte gar keine Möglichkeit zu erklären, wie dieser Vorfall sich ereignet hatte. Und an Herrn Longhorns Gesichtsausdruck konnte ich deutlich ablesen, dass ihn das auch nicht im Geringsten interessierte. Aus diesem Grund nickte ich nur stumm. "Dann wäre das ja geklärt", sagte Herr Longhorn nun etwas freundlicher, aber eine Warnung folgte sogleich: "Aber ich möchte, dass sich so etwas nicht wiederholt. Es gibt genügend andere junge Frauen, die diesen Job gern hätten."


Ich weiß, dass ich eigentlich hätte etwas sagen sollen, aber ich tat es nicht. Stattdessen machte ich mich wieder an die Arbeit, so als ob nichts passiert wäre. Ab diesem Tag begann die Arbeit mir deutlich weniger Spaß zu machen. Ständig hatte ich Angst wieder von einem Typen blöd angemacht zu werden. Außerdem hatte ich das Gefühl, als ob die Damen, die zweimal die Woche zum Bridgeabend in den Saloon kamen, mich abfällig betrachteten. Sie waren zwar nicht offen unfreundlich, aber sie gaben mir das Gefühl, als ob ich nichts wert wäre.


Aber ich musste weiter machen. Schließlich brauchte ich das Geld, denn die Rechnungen bezahlten sich nicht von selbst und ich konnte schließlich nicht erwarten, dass Roland für alles aufkam. Ganz abgesehen davon, dass ich bezweifle, dass seine Gehalt dazu ausreichen würde.


Ganz besonders schlimm war es, als der rothaarige Typ wieder auftauchte. Seine Augen funkelten wütend, als er mich ansah und ich konnte sehen, dass er meine Unsicherheit genoss, als ich ihn bediente. Aber in Gegenwart meines Chefs konnte ich nichts machen und selbst wenn Herr Longhorn nicht anwesend gewesen wäre, hätte ich nicht den Mut aufgebracht mich zur Wehr zu setzen. Also bediente ich ihn, als ob nie etwas passiert wäre.


Und jeden Abend nach sechs Uhr kamen die Bohrturmarbeiter, die sich am Feierabend einen Drink genehmigen wollten. Und im Grunde war immer einer dabei, der mich mehr oder weniger offen anmachte. Das Grinsen und die Blicke konnte ich noch ignorieren, bei den Sprüchen wurde es dann schon schwieriger.


"Komm und setz dich auf Daddys Schoß, Puppe. Mein Bohrstab wird dich schon glücklich machen", musste ich mir von diesem Kerl anhören und er kam sich dabei auch noch ziemlich witzig vor. Ich versuchte es einfach zu überhören. Ich stellte ihm ausdruckslos sein Glas hin und verschwand dann mit einem Karton Flaschen in der Hand im Hinterzimmer des Saloons.


Genau diese Kiste hatte ich erst vor fünf Minuten nach vorne gebracht und das wusste Aron auch ganz genau, also folgte er mir. "Hey, Oxana, was ist denn los?", fragte er besorgt. "Du darfst dich von solchen Typen nicht fertig machen lassen. Die haben eine große Klappe, aber nichts dahinter." Er tätschelte tröstend meinen Arm, aber das machte es eigentlich nur noch schlimmer, denn jetzt konnte ich meine Tränen kaum noch zurückhalten.


Ich drehte meinen Kopf zur Seite und starte durchs Fenster auf den staubigen Wüstenboden. Ich wollte nicht, dass er die Tränen sah, die an meiner Wange hinunter kullerten. "Ich kann einfach nicht weghören", erklärte ich schließlich mit zittriger Stimme. "Jedes Mal, wenn so ein Spruch kommt, trifft es mich mitten ins Herz. Ich kann einfach nicht verstehen, warum diese Kerle so etwas sagen. Und Herr Longhorn gibt auch noch mir die Schuld. Ich bin doch keine Hure!" Ich blickte ihn mit meinen großen feuchten Augen an und er lächelte mitfühlend. "Nein, du bist keine Hure, Oxana, ganz sicher nicht."


Arons Worte bauten mich zumindest soweit auf, dass ich den Rest der Schicht überstehen konnte. Aber kaum hatte ich den Saloon früh morgens verlassen, brach ich erneut in Tränen aus. Wie sollte ich denn hier bloß weiter arbeiten?

 

 


Und obwohl ich total ausgelaugt war, konnte ich doch die ganze Nacht über kein Auge zu tun. Selbst als die Sonne hinter den Bergen der Sierra Simlone hervorkam, lag ich immer noch wach in meinem Bett und mir war nur zum Heulen zumute. Ich wünschte mir so sehr jemanden, der mich in den Arm nahm, der mir Mut zusprach, bei dem ich mich ausheulen konnte. Ich wünschte Benny wäre jetzt bei mir.


Ich griff zu meinem Handy, das auf meinem Nachttisch lag und wählte seine Nummer. Das hatte ich in den letzten Wochen schon so oft gemacht, doch er ging nie ran. Im Grunde rechnete ich damit, dass ich wieder umsonst klingelte und ich war mehr als überrascht, als er sich plötzlich am anderen Ende der Leitung meldete: "Ich will nicht mit dir reden, Oxana, und ruf mich bitte nicht mehr an. Wir haben uns nichts mehr zu sagen." "Bitte, Benny, hör mich an", unterbrach ich ihn flehend. "Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich wollte dich nicht verletzen."


"Das fällt dir aber reichlich spät an", antwortete er und an seiner Stimme konnte ich hören, dass ich ihn doch zutiefst verletzt hatte. "Ich habe gedacht, dass du mich wirklich gern hättest, Oxana. Aber dann bist du bei der ersten Gelegenheit zu Kasimir ins Bett gestiegen. Auf so eine wie dich lege ich keinen Wert." "Was?!", keuchte ich entsetzt in den Hörer. "Das ist doch nicht wahr. Ich habe nie mit Kasimir..." Doch Benny ließ mich nicht einmal aussprechen. "Lüg mich nicht an, Oxana. Ich weiß es. Die ganze Stadt weiß es. Kasimir hat ganz genau beschrieben, wie du dich ihm gleich beim ersten Date bereitwillig hingegeben hast. Wie du es genossen hast!"


"Und jetzt hast du nicht einmal den Mut es zuzugeben. Das ist wirklich das Letzte! Also ruf mich nicht mehr an!" Damit beendete er das Telefonat und ließ mir nicht einmal die Gelegenheit für eine Erklärung. Aber was erwartete ich auch? Schließlich war ich jetzt die Dorfhure! Wer glaubte denn schon so jemanden wie mir?


Niedergeschlagen setzte ich mich auf die Bettkante und legte das Handy neben mich auf die Bettdecke. "Ich bin das Dorfflittchen". Dieser Gedanke kreiste immer wieder in meinem Kopf herum. Plötzlich verstand ich, warum mich die Männer im Saloon immer wieder so blöd angemacht hatten. Laut Kasimir würde ich es ja mit jedem treiben. Das tragische daran war, dass ich bis jetzt noch nie mit einem Mann geschlafen hatte. Wie konnte es nur so weit kommen?

 

 


Ich ging noch ein paar Tage in den Saloon, doch schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Die Sprüche der Typen und die Blicke der anderen Gäste hörten einfach nicht auf. Ich kündigte und verkroch mich in mein Zimmer. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr heraus gekommen. Doch auch zu Hause konnte ich mich einfach nicht wohlfühlen, denn Roland mied mich noch immer weitestgehend. Es war nur noch schrecklich.


Eines Nachmittags zog ich eine Kiste unter meinem Bett hervor und kramte darin herum. Dort fand ich neben alten Tagebüchern, Fotos und Freundschaftsbändern von meiner Zwillingsschwester Joanna auch einen alten Stoffhasen, den ich von ihr geschenkt bekommen hatte. Schmuselhäschen! Ich hatte ganz vergessen, dass ich ihn aus Warschau mitgenommen hatte.


Ich wusste noch ganz genau, wann Joanna mir Schmuselhäschen geschenkt hatte. Ich fand ihn schon immer toll, aber es war nun mal ihr Stofftier. Und mit 8 ist Joanna damals plötzlich verschwunden. Niemand wusste, wo sie war und ich fühlte mich damals einfach nur verlassen. Ich war vorher noch nie von meiner Schwester getrennt gewesen. Meine Väter waren selbst viel zu sehr in Sorge, um sich richtig um mich kümmern zu können, und da half mir Schmuselhäschen, mich in meiner Einsamkeit zu trösten. "Joanna", seufzte ich schwer. Ich wünschte ich könnte sie einfach anrufen, doch noch war ich nicht bereit dazu. Und dann tauchte plötzlich ER auf. Schmuselhäschen hopste plötzlich durch die Esszimmertür direkt auf mich zu. Es war wie vor elf Jahren.

 

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kor. 23.10.2007; 17.12.2010