1 2 3 4 5 R

 


Und dann brach es aus mir heraus. Ich konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken, die sich in der letzten halben Stunde in mir angestaut hatten. Ich hatte gehofft, dass zwischen Roland und mir alles wieder gut werden würde. Nach unserer Aussprache war es doch schon fast wie früher gewesen. Aber das war nur Schein. Es würde nie mehr werden wie früher, das wurde mir jetzt klar. Wenn ich doch nur das gleiche für ihn empfinden könnte, wie er für mich, dann wäre alles so viel leichter. Aber das Leben war nicht leicht, dass hatte ich schon oft genug erfahren.

 

 


In dieser Nacht konnte ich kaum ein Auge zu tun. Ich musste ständig an Roland denken. Er war nun mal mein bester Freund und wenn ich es richtig betrachte, auch mein einziger wirklicher Freund. Klar kannte ich andere Leute hier in Sierra Simlone Stadt, aber das waren alles eher oberflächliche Bekanntschaften. Leute mit denen ich Billard spielen konnte, denen ich mich aber nie anvertrauen würde. Bei Benny hätte sich das fast geändert, doch mit ihm hatte ich es mir verscherzt und jetzt habe ich auch noch Roland vergrault. Es hatte keinen Sinn länger im Bett zu bleiben, als stand ich auf und machte mich betrübt auf den Weg in das Stadtzentrum.


So früh morgens war kaum etwas los. Im Lebensmittelladen war ich die einzige Kundin. Die Einwohnerzahl meines neuen Heimatortes hatte sich in den letzten Wochen mehr als versechsfacht, daran konnte es also nicht liegen. Nur hatten die meisten Einwohner dieser Stadt eine Arbeit, der sie nachgehen mussten. Frustriert stopfte ich die billigsten Fischstäbchen in meinen Einkaufskorb und machte mich auf den Weg zur Kasse, als mein Blick auf das Infobrett fiel.


Das Infobrett! Warum hatte ich bloß nicht früher daran gedacht. An diesem Brett befanden sich doch alle wichtigen Anzeigen, die Sierra Simlone Stadt betrafen. An diesem Brett habe ich meinen Mitbewohner gefunden, vielleicht würde sich da auch ein neuer Job finden. Und tatsächlich: "Longhorn Saloon sucht kompetente Bedienung". Das war vielleicht kein Traumjob, aber besser, als wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fiel.


Bei meinem ersten Anruf teilte mir die nette Bandansage mit, dass ich erst gegen Abend noch einmal anrufen sollte, also schlenderte ich nach Hause und stellte die Einkäufe ab und sortierte aus Langeweile alle Lebensmittel in der Küche nach Nährgehalt in absteigender Reihenfolge. Als Roland nach Hause kam, begrüßte er mich nur knapp und verschwand wieder in seinem Zimmer und da mir diese angespannte Atmosphäre überhaupt nicht gut tat, beschloss ich lieber wieder in die Stadt zu gehen. Und als ich dann erneut bei meinem potenziellen Arbeitgeber anrief, meldete sich auch jemand. "Ja, die Stelle ist noch frei", erklärte mir der Besitzer, Herr Longhorn. "Kommen sie am besten morgen Abend vorbei. Ich sage meinem Barchef Aron bescheid, der wird sie dann einweisen."

 

 


Ich war zwar enttäuscht, dass ich erst morgen anfangen konnte, aber immerhin hatte ich nun etwas, auf das ich mich freuen konnte. Gleich nach Sonnenuntergang machte ich mich auf dem Weg zum neuen "Longhorn Saloon", der erst vor einem Monat geöffnet hatte und den alten, aber nun völlig überlasteten Saloon, ergänzte. Je näher ich dem Eingang kam, desto schneller wurde mein Puls, schließlich habe ich noch nie als Kellnerin gearbeitet. Aber das konnte auch nicht schwerer sein, als ein Forschungsteam zu leiten.


Ich entdeckte sofort den blonden jungen Mann an der Bar und schloss aus Herrn Longhorns Beschreibung, dass dies Aron sein musste. "Hi, ich bin Oxana", stellte ich mich vor und setzte mich auf den Hocker direkt vor ihm. "Ich soll hier als Bedienung anfangen. Herr Longhorn sagte, du wüstes dann bescheid. Du bist doch Aron?", fragte ich verunsichert als er mich die ganze Zeit über nur stumm anstarte. Schließlich begann Aron zu lachen und nickte. "Ja, der bin ich. Dann werde ich dir erst einmal alles zeigen."


Er führte mich zu einer Tür hinter dem Barbereich und wir betraten einen kleinen Raum, der sich als Büro entpuppte. "Hier kannst du deine Sachen lassen und dich umziehen". Aron zeigte auf einen Stapel Kleider, die in einer Kiste neben dem Schreibtisch lagen. "Such dir was Passendes heraus. Und wenn du fertig bist, dann komm wieder in den Gastraum und ich zeige dir die Bar und erkläre dir deine Aufgaben."

 

 


"...die Whisky-Gläser sind in dem Schrank hier unten und die für den Brandy gleich daneben. Alle Getränke befinden sich hinten im Lagerhaus und sollte doch etwas fehlen, dann rufe ich gleich Herrn Longhorn an". Ich wiederholte fleißig alles, was Aron mir in einer knappen Stunde erklärt hatte. Und das scheinbar zu seiner Zufriedenheit, denn er nickte immerzu. "Dann weißt du ja bescheid. Ich lass dich dann hier allein, aber wenn etwas sein sollte, dann findest du mich hinten im Büro."


Ich war wirklich erleichtert, dass Aron mit mir zufrieden war. Aber so schwer war es nicht. Und mir würde schon keiner den Kopf abreißen, wenn ich den Whisky im Brandyglas serviere. Schließlich kam es auf den Inhalt an. Und solange keine Kunden in Sicht waren, konnte ich das gleichmäßige befüllen der Gläser üben. Wenn ich schon das falsche Glas nahm, dann sollte es wenigstens gekonnt befüllt werden.


Der Laden füllte sich allmählich immer mehr. Allerdings beschäftigten sich die Gäste eher mit Pokerspielen und dem Billardtisch, anstatt etwas zu trinken. Es war schon gemein, den anderen dabei zuzusehen, wie sie Spaß hatten und selber nur rumzustehen und nichts zu tun.


Doch dann bekam ich endlich meine Kundschaft. Zwei Typen setzten sich an die Bar und bestellten beide einen Scotch. Eine einfache Bestellung ohne Extrawünsche. Genau das richtige zum Einstieg.


Ich überflog die Alkoholika nach der richtigen Flasche und machte mich dann auf die Suche nach den entsprechenden Gläsern. Alles kein Problem, doch irgendwie verunsicherte mich plötzlich das offensichtliche Grinsen des blonden Typen, der mich dabei auch noch ständig musterte. Er tuschelte seinem Nachbarn etwas ins Ohr und dann begann auch der zu grinsen, auch wenn er sich bemühte mich dabei nicht so offensichtlich anzustarren, was ihm aber nicht sonderlich gut gelang.


Hatte ich etwa irgendetwas im Gesicht kleben? Oder hatte ich aus versehen meine Arbeitskleidung verkehrt herum angezogen? Ich versuchte diese Gedanken abzuschütteln und den beiden einfach freundlich lächelnd ihre Drinks zu servieren. Danach konnte ich immer noch schnell auf der Toilette verschwinden und mein Aussehen überprüfen. Und als ich gerade dem blonden Kerl seinen Scotch brachte zwinkerte er mir zu und schob mir breit grinsend das Geld für den Drink, ein ordentliches Trinkgeld und einen Zettel mit seiner Nummer zu. "Ruf mich an, Kleines. Ich bin immer für dich bereit". Dann leerte er sein Glas mit einem Zug und verschwand mit seinem Kumpel, noch ehe ich mich gefasst hatte um darauf zu reagieren.


Glücklicherweise blieb mir nicht viel Zeit darüber nachzudenken. Der Saloon war jeden Abend voller Gäste und die wollten bedient werden. Also eilte ich ständig zwischen den Pokertischen und der Bar hin und her, leitete die Bestellung an Aron weiter und brachte sie den Gästen an den Tisch. Und so war dieser unsägliche Vorfall schnell vergessen und die Nummer des unverschämten Typen landete noch am selben Abend im Müll.


Und die Arbeit im Saloon gefiel mir sogar. Ich mochte es mich mit den verschiedensten Gästen zu unterhalten. Ich fand, dass ich meine Arbeit gut machte und Aron war auch super nett zu mir. Er brachte mir sogar bei, mit Gläsern zu jonglieren. "Das beeindruckt die Gäste immer ganz besonders", erklärte er mir lachend.

 

 


Also eigentlich ein toller Job, wäre da nicht wieder etwas vorgefallen. Ich arbeitete schon fast eine Woche im Saloon, als ein rothaariger Kerl auf mich zukam und mich ganz offensichtlich anmachte. "Hey, Schnecke", begann er seinen plumpen Annährungsversuch, "du hast doch gleich Pause. Mein Wagen steht gleich um die Ecke. Den solltest du dir unbedingt von innen ansehen". Dabei grinste er mich anzüglich an und machte eine eindeutige Hüftbewegung.


Ich war angewidert und entsetzt. Was glaubte dieser Typ, wer ich war? Ich arbeitete in diesem Saloon als Bedienung und nicht als Dame für nette Stunden, auch wenn das früher vielleicht ein und dasselbe gewesen war. Ich schluckte heftig und versuchte mich wieder zu fassen. "Möchten Sie etwas bestellen?", fragte ich mit gedämpfter Stimme. "Ja, dich. In fünf Minuten bei mir im Wagen". Ich konnte nicht fassen, wie unverschämt dieser Typ war. "Wenn Sie nichts trinken wollen, dann möchte ich Sie bitten das Lokal zu verlassen", erklärte ich mit bestimmter Stimme. Aber diese Fassade täuschte. Meine Knie zitterten so sehr, dass ich fast eingeknickt wäre. Wenn er jetzt nicht ginge, wüsste ich nicht, wie ich weiter reagieren sollte, so sehr verunsicherte mich sein Verhalten.

 

1 2 3 4 5 R

kor. 21.10.07