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Und dann brach es aus mir heraus. Ich konnte die Tränen nicht
mehr unterdrücken, die sich in der letzten halben Stunde
in mir angestaut hatten. Ich hatte gehofft, dass zwischen Roland
und mir alles wieder gut werden würde. Nach unserer Aussprache
war es doch schon fast wie früher gewesen. Aber das war nur
Schein. Es würde nie mehr werden wie früher, das wurde
mir jetzt klar. Wenn ich doch nur das gleiche für ihn empfinden
könnte, wie er für mich, dann wäre alles so viel
leichter. Aber das Leben war nicht leicht, dass hatte ich schon
oft genug erfahren.
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In dieser Nacht konnte ich kaum ein Auge zu tun. Ich musste ständig
an Roland denken. Er war nun mal mein bester Freund und wenn ich
es richtig betrachte, auch mein einziger wirklicher Freund. Klar
kannte ich andere Leute hier in Sierra Simlone Stadt, aber das
waren alles eher oberflächliche Bekanntschaften. Leute mit
denen ich Billard spielen konnte, denen ich mich aber nie anvertrauen
würde. Bei Benny hätte sich das fast geändert,
doch mit ihm hatte ich es mir verscherzt und jetzt habe ich auch
noch Roland vergrault. Es hatte keinen Sinn länger im Bett
zu bleiben, als stand ich auf und machte mich betrübt auf
den Weg in das Stadtzentrum.
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So früh morgens war kaum etwas los. Im Lebensmittelladen
war ich die einzige Kundin. Die Einwohnerzahl meines neuen Heimatortes
hatte sich in den letzten Wochen mehr als versechsfacht, daran
konnte es also nicht liegen. Nur hatten die meisten Einwohner
dieser Stadt eine Arbeit, der sie nachgehen mussten. Frustriert
stopfte ich die billigsten Fischstäbchen in meinen Einkaufskorb
und machte mich auf den Weg zur Kasse, als mein Blick auf das
Infobrett fiel.
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Das Infobrett! Warum hatte ich bloß nicht früher daran
gedacht. An diesem Brett befanden sich doch alle wichtigen Anzeigen,
die Sierra Simlone Stadt betrafen. An diesem Brett habe ich meinen
Mitbewohner gefunden, vielleicht würde sich da auch ein neuer
Job finden. Und tatsächlich: "Longhorn Saloon sucht
kompetente Bedienung". Das war vielleicht kein Traumjob,
aber besser, als wenn mir zu Hause die Decke auf den Kopf fiel.
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Bei meinem ersten Anruf teilte mir die nette Bandansage mit, dass
ich erst gegen Abend noch einmal anrufen sollte, also schlenderte
ich nach Hause und stellte die Einkäufe ab und sortierte
aus Langeweile alle Lebensmittel in der Küche nach Nährgehalt
in absteigender Reihenfolge. Als Roland nach Hause kam, begrüßte
er mich nur knapp und verschwand wieder in seinem Zimmer und da
mir diese angespannte Atmosphäre überhaupt nicht gut
tat, beschloss ich lieber wieder in die Stadt zu gehen. Und als
ich dann erneut bei meinem potenziellen Arbeitgeber anrief, meldete
sich auch jemand. "Ja, die Stelle ist noch frei", erklärte
mir der Besitzer, Herr Longhorn. "Kommen sie am besten morgen
Abend vorbei. Ich sage meinem Barchef Aron bescheid, der wird
sie dann einweisen."
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Ich war zwar enttäuscht, dass ich erst morgen anfangen konnte,
aber immerhin hatte ich nun etwas, auf das ich mich freuen konnte.
Gleich nach Sonnenuntergang machte ich mich auf dem Weg zum neuen
"Longhorn Saloon", der erst vor einem Monat geöffnet
hatte und den alten, aber nun völlig überlasteten Saloon,
ergänzte. Je näher ich dem Eingang kam, desto schneller
wurde mein Puls, schließlich habe ich noch nie als Kellnerin
gearbeitet. Aber das konnte auch nicht schwerer sein, als ein
Forschungsteam zu leiten.
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Ich entdeckte sofort den blonden jungen Mann an der Bar und schloss
aus Herrn Longhorns Beschreibung, dass dies Aron sein musste.
"Hi, ich bin Oxana", stellte ich mich vor und setzte
mich auf den Hocker direkt vor ihm. "Ich soll hier als Bedienung
anfangen. Herr Longhorn sagte, du wüstes dann bescheid. Du
bist doch Aron?", fragte ich verunsichert als er mich die
ganze Zeit über nur stumm anstarte. Schließlich begann
Aron zu lachen und nickte. "Ja, der bin ich. Dann werde ich
dir erst einmal alles zeigen."
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Er führte mich zu einer Tür hinter dem Barbereich und
wir betraten einen kleinen Raum, der sich als Büro entpuppte.
"Hier kannst du deine Sachen lassen und dich umziehen".
Aron zeigte auf einen Stapel Kleider, die in einer Kiste neben
dem Schreibtisch lagen. "Such dir was Passendes heraus. Und
wenn du fertig bist, dann komm wieder in den Gastraum und ich
zeige dir die Bar und erkläre dir deine Aufgaben."
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"...die Whisky-Gläser sind in dem Schrank hier unten
und die für den Brandy gleich daneben. Alle Getränke
befinden sich hinten im Lagerhaus und sollte doch etwas fehlen,
dann rufe ich gleich Herrn Longhorn an". Ich wiederholte
fleißig alles, was Aron mir in einer knappen Stunde erklärt
hatte. Und das scheinbar zu seiner Zufriedenheit, denn er nickte
immerzu. "Dann weißt du ja bescheid. Ich lass dich
dann hier allein, aber wenn etwas sein sollte, dann findest du
mich hinten im Büro."
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Ich war wirklich erleichtert, dass Aron mit mir zufrieden war.
Aber so schwer war es nicht. Und mir würde schon keiner den
Kopf abreißen, wenn ich den Whisky im Brandyglas serviere.
Schließlich kam es auf den Inhalt an. Und solange keine
Kunden in Sicht waren, konnte ich das gleichmäßige
befüllen der Gläser üben. Wenn ich schon das falsche
Glas nahm, dann sollte es wenigstens gekonnt befüllt werden.
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Der Laden füllte sich allmählich immer mehr. Allerdings
beschäftigten sich die Gäste eher mit Pokerspielen und
dem Billardtisch, anstatt etwas zu trinken. Es war schon gemein,
den anderen dabei zuzusehen, wie sie Spaß hatten und selber
nur rumzustehen und nichts zu tun.
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Doch dann bekam ich endlich meine Kundschaft. Zwei Typen setzten
sich an die Bar und bestellten beide einen Scotch. Eine einfache
Bestellung ohne Extrawünsche. Genau das richtige zum Einstieg.
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Ich überflog die Alkoholika nach der richtigen Flasche und
machte mich dann auf die Suche nach den entsprechenden Gläsern.
Alles kein Problem, doch irgendwie verunsicherte mich plötzlich
das offensichtliche Grinsen des blonden Typen, der mich dabei
auch noch ständig musterte. Er tuschelte seinem Nachbarn
etwas ins Ohr und dann begann auch der zu grinsen, auch wenn er
sich bemühte mich dabei nicht so offensichtlich anzustarren,
was ihm aber nicht sonderlich gut gelang.
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Hatte ich etwa irgendetwas im Gesicht kleben? Oder hatte ich
aus versehen meine Arbeitskleidung verkehrt herum angezogen?
Ich versuchte diese Gedanken abzuschütteln und den beiden
einfach freundlich lächelnd ihre Drinks zu servieren. Danach
konnte ich immer noch schnell auf der Toilette verschwinden
und mein Aussehen überprüfen. Und als ich gerade dem
blonden Kerl seinen Scotch brachte zwinkerte er mir zu und schob
mir breit grinsend das Geld für den Drink, ein ordentliches
Trinkgeld und einen Zettel mit seiner Nummer zu. "Ruf mich
an, Kleines. Ich bin immer für dich bereit". Dann
leerte er sein Glas mit einem Zug und verschwand mit seinem
Kumpel, noch ehe ich mich gefasst hatte um darauf zu reagieren.
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Glücklicherweise blieb mir nicht viel Zeit darüber nachzudenken.
Der Saloon war jeden Abend voller Gäste und die wollten bedient
werden. Also eilte ich ständig zwischen den Pokertischen
und der Bar hin und her, leitete die Bestellung an Aron weiter
und brachte sie den Gästen an den Tisch. Und so war dieser
unsägliche Vorfall schnell vergessen und die Nummer des unverschämten
Typen landete noch am selben Abend im Müll.
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Und die Arbeit im Saloon gefiel mir sogar. Ich mochte es mich
mit den verschiedensten Gästen zu unterhalten. Ich fand,
dass ich meine Arbeit gut machte und Aron war auch super nett
zu mir. Er brachte mir sogar bei, mit Gläsern zu jonglieren.
"Das beeindruckt die Gäste immer ganz besonders",
erklärte er mir lachend.
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Also eigentlich ein toller Job, wäre da nicht wieder etwas
vorgefallen. Ich arbeitete schon fast eine Woche im Saloon, als
ein rothaariger Kerl auf mich zukam und mich ganz offensichtlich
anmachte. "Hey, Schnecke", begann er seinen plumpen
Annährungsversuch, "du hast doch gleich Pause. Mein
Wagen steht gleich um die Ecke. Den solltest du dir unbedingt
von innen ansehen". Dabei grinste er mich anzüglich
an und machte eine eindeutige Hüftbewegung.
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Ich war angewidert und entsetzt. Was glaubte dieser Typ, wer ich
war? Ich arbeitete in diesem Saloon als Bedienung und nicht als
Dame für nette Stunden, auch wenn das früher vielleicht
ein und dasselbe gewesen war. Ich schluckte heftig und versuchte
mich wieder zu fassen. "Möchten Sie etwas bestellen?",
fragte ich mit gedämpfter Stimme. "Ja, dich. In fünf
Minuten bei mir im Wagen". Ich konnte nicht fassen, wie unverschämt
dieser Typ war. "Wenn Sie nichts trinken wollen, dann möchte
ich Sie bitten das Lokal zu verlassen", erklärte ich
mit bestimmter Stimme. Aber diese Fassade täuschte. Meine
Knie zitterten so sehr, dass ich fast eingeknickt wäre. Wenn
er jetzt nicht ginge, wüsste ich nicht, wie ich weiter reagieren
sollte, so sehr verunsicherte mich sein Verhalten.
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