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Hinter dem Laden gab es einen kleinen Spielplatz. Bis auf eine
Schaukel bot er zwar nicht viel, aber Kinga und Tristan ließen
es sich nicht nehmen, die Schaukel auszuprobieren. Tristan sah
damit auch seine Möglichkeit gekommen, Kinga ein wenig auf
den Zahn zu fühlen. "Hat es Spaß gemacht, das
Puppenhaus zu zertrümmern?", fragte er unschuldig. "Ich
wollte so was auch immer mal machen, hab mich aber nie getraut".
"Ja, war schon ganz lustig", antwortete Kinga. "Aber
eigentlich war es doof von mir. Mit dem Puppenhaus spiele ich
doch immer so gerne und jetzt hab ich auch noch das Spiel nicht".
Mit den Füßen stoppte sie ihren Schwung ab und trat
ein paar Steine fort, die vor ihr im Dreck lagen.
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Tristan hatte zwar Angst, bei Kinga auf Granit zu beißen,
wenn er zu direkt fragte, aber er wollte herausfinden, was die
Kleine belastete. "Warum hast du es dann gemacht?".
Kinga holte wieder Schwung und schwieg dann eine Weile. "Weil
Papa die doofe Klaudia viel lieber hat als mich". Also doch
Eifersucht! Oder steckte noch mehr dahinter? "Und du kannst
Klaudia nicht lieb haben? Sie ist doch deine kleine Schwester."
"Ich will sie aber gar nicht lieb haben", protestieret
Kinga "Und ich will auch nicht lieb sein, sonst schicken
Mama und Papa mich weg!".
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"Wegschicken? Wie kommst du denn auf diese Idee?". Tristan
stieg von seiner Schaukel herunter und hob auch Kinga aus ihrem
Sitz um ihr direkt in die Augen schauen zu können. "Wenn
ich böse bin, dann schicken Mama und Papa mich nicht weg!
Constance war immer ganz lieb und sie musste gehen, obwohl ich
immer viel mehr angestellt habe als sie. Und jetzt ist Klaudia
da und sie schreit immer und stinkt und Mama und Papa haben sie
viel mehr doll lieb als mich. Also wenn ich noch mehr schreie
und böse bin, dann schicken sie sie wieder fort und behalten
dafür mich. Und wenn ich Constance noch überrede mehr
Unsinn zu machen, dann darf sie vielleicht auch wieder zurück
und alles ist wieder so wie vorher".
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"Ach Spatz, deine Eltern wollen dich doch überhaupt
nicht weg schicken. Egal wie lieb du bist!" Tristan musste
sich zusammenreisen um nicht laut loszulachen. Kingas Logik war
einfach so unglaublich, dass es nicht verwunderlich war, dass
niemand darauf kam, was sie belastete. "Schau, Klaudia ist
noch Klein und brauch einfach viel mehr Aufmerksamkeit. Du bist
doch schon groß und schaffst das auch alleine. Und wenn
du denkst, dass deine Eltern mal keine Zeit für dich haben,
dann kannst du ja zu mir kommen. Wir können dann zu zweit
etwas unternehmen. Und wenn du deine Schulfreunde nicht immer
hauen würdet, dann könntest du auch mit denen was tolles
machen". Diesen letzten Satz konnte Tristan sich einfach
nicht verkneifen.
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Ich konnte es auch kaum glauben als Tristan mir berichtete, was
Kinga bedrückte. Sie versuchte also tatsächlich böse
und gemein zu sein, damit wir sie behielten und Klaudia wegschickten?
Das war wirklich die Logik einer Sechsjährigen. Ich versicherte
Kinga umgehend, dass wir sie nicht wegschicken würden. Sie
war unsere Tochter und wir würden sie immer bei uns behalten,
ob sie nun gemein war und ganz besonders wenn sie lieb war. Ich
ermutigte sie sogar dazu, besonders nett zu uns und allen anderen
zu sein. Scheinbar hatte niemand von uns bemerkt, wie sehr Constances
Auszug Kinga mitgenommen hatte.
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"Ok, Mami, ich werde wieder brav sein", versprach sie
mir. „Es hat sowieso keinen Spaß gemacht immer böse
zu sein. Aber muss ich Klaudia unbedingt lieb haben? Die stinkt
immer". Ich musste lachen. "Manchmal stinkt sie auch
nicht, Schatz. Vielleicht versuchst du dann, sie lieb zu haben.
Klaudia braucht doch ihre große Schwester, die sie beschützen
kann".
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Kinga versprach mir, es immerhin zu versuchen. Mehr konnte ich
nicht erwarten. Ich vermutete, Kinga würde noch oft Grund
dazu haben, eifersüchtig auf ihre jüngere Schwester
zu sein. Dominik und ich konnten uns nur bemühen, beide Kinder
möglichst gleich zu behandeln. Gelingen würde es uns
kaum. Besonders ich spürte Klaudia gegenüber eine tiefe
Zuneigung, die ich Kinga gegenüber immer noch nicht aufbringen
konnte, so sehr ich es auch wollte. "Papi, bin ich immer
noch dein Prinzessin?", fragte Kinga. "Natürlich
bist du das", bestätigte Dominik und hab sie auf den
Arm. "Und das wirst du auch immer bleiben. Und sei nicht
böse, wenn ich Klaudia auch Prinzessin nenne. Denk doch mal
nach, die Schwester einer Prinzessin ist doch automatisch auch
eine. Es bleibt mir also gar nichts anderes übrig, als Klaudia
auch so zu nennen. Aber du bleibst immer meine große Prinzessin.
Versprochen".
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Und in den nächsten Tagen und Wochen bemühte sich Kinga
wirklich, ihrer Schwester näher zu kommen. Es ging natürlich
nicht von heute auf morgen. Aber einmal beobachtete ich sie durch
den Türspalt, wie sie an Klaudias Bettchen kam und ihr mein
altes, rosa Hasi ins Bettchen legte.
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Und dann stand noch ein freudiges Ereignis an. "Brodlowska,
du bist schön genug. Ich erlaube dir sogar auf der Straße
neben mir zu gehen und nicht drei Meter hinter mir wie sonst.
Also komm jetzt". Ich konnte mich trotzdem nicht von Spiegel
losreißen. Irgendwie waren diese Locken so ungewohnt und
ich hatte ständig das Gefühl, dass sie in meinen Ohrringen
hängen blieben. Plötzlich legten sich Dominiks Arme
um meine Taille und er trug mich, meine Proteste ignorierend,
einfach aus dem Haus. "Du willst doch nicht zu Rolands Hochzeit
zu spät kommen, Brodlowska".
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Nein, das wollte ich wirklich nicht. Die Zeremonie fand wie schon
bei mir und Dominik im Garten von Rolands neuem Zuhause statt.
Unter einem rosengeschmückten Hochzeitsbogen gaben Roland
und Brandi sich das Ja-Wort und tauschen die Ringe aus. Ich war
froh, meinen besten Freund so glücklich zu sehen und unser
gemeinsamer Seitensprung schien bereits in weite Ferne gerückt
zu sein.
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Kinga und Constance hatten die Aufgabe bekommen, das Brautpaar
mit Federn zu bewerfen. Aber irgendwie haben sie ihren Einsatz
verpasst und bewarfen sich lieber gegenseitig mit den flauschigen
Federn. Der guten Stimmung tat dies keinen Abbruch.
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Kurz nach der Trauung versank die Abendsonne hinter dem Horizont
und die eigentliche Hochzeitsfeier konnte beginnen. Tristan hielt
eine kleine Ansprache auf das Wohl seines besten Freundes und
auf das von Brandi. "Ich hoffe, ihr zwei werdet super glücklich
miteinander. Für mich wäre ja eine Ehe absolut nicht
das Richtige, aber ihr beiden, werdet euch ideal ergänzen
und erst jetzt richtig feststellen, was Liebe eigentlich ist.
Auf das Brautpaar!"
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Tristans Worte trafen mich mitten ins Herz und ich konnte nicht
anders und musste weinen. Ich freute mich wirklich für Roland.
Aber peinlich war die Situation trotzdem. Wenn ich ehrlich bin,
waren es nicht nur Freudentränen, die da an meinen Wangen
herab liefen. Ich sah, wie glücklich Roland und Brandi waren.
Bei meiner eigenen Hochzeit war ich nicht so glücklich gewesen
und das machte mich traurig. Und immer wieder drängten sich
Bilder von mir und Albert in meinen Kopf, die ich kaum vertreiben
konnte.
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Glücklicherweise merkte niemand der Anwesenden etwas. Nur
Dominik kam zu mir und klopfte mir tröstend auf die Schultern.
"Ich weiß, Brodlowska, es ist zu traurig. Wie kann
eine so schöne und intelligente Frau wie Brandi bloß
Reichardt heiraten? Ich könnte auch losheulen". Blöder
Kerl, aber wenigstens konnte ich wieder lachen. Derweil schnitten
Roland und Brandi gemeinsam die Hochzeitstorte an und Roland fütterte
neckisch seine junge Braut.
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Es wurde ein sehr schöner Abend im Kreis von engen Freunden
und Bekannten. Es wurde getanzt, gelacht, gegessen und natürlich
auch getrunken. Ich wünschte Roland und Brandi wirklich nur
das Beste für ihre gemeinsame Zukunft und gleichzeitig hoffte
ich auch nur das Beste für meine Zukunft mit Dominik und
unseren beiden Kindern.
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Und die wuchsen schneller, als man hinschauen konnte. Die Morgensonne
strahlte in unser Schlafzimmerfenster und Dominik und ich lagen
verträumt auf dem Bett. Es war Sonntag und noch relativ früh,
wir konnten uns also Zeit lassen. Doch da krabbelte auch schon
ein kleines Bündel durch die offene Kinderzimmertür,
zupfte an der Bettdecke und machte sich lautstark bemerkbar.
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"Das war es wohl mit unserem ruhigen Sonntagmorgen im Bett",
flüsterte ich Dominik zu und krabbelte aus dem Bett. Auch
Dominik stand auf und hob seine Tochter auf den Arm, die schon
ungeduldig die Ärmchen nach ihm ausstreckte. "Wie bist
du denn aus deinem Bett gekommen, Pummelchen? ich glaub, wir müssen
die Gitter ein wenig höher machen, für die Ausbrechmeisterin".
"Dada", war das einzige was Klaudia darauf erwiderte
und mit ihren ungeschickten Fingern versuchte sie, Dominik am
Schnurbart zu ziehen.
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Pummelchen traf es im wahrsten Sinne des Wortes. Dominik trug
den kleinen Racker in die Küche. Klaudia wusste schon genau,
was jetzt kommen würde. Dada würde ihr ein leckeres
Fläschchen Milch machen und sie begann sofort zu quengeln,
als er sich nur ein bisschen mehr Zeit ließ. Und kaum hatte
sie die Flasche in ihren Patschehändchen, begann sie gierig
daran zu nuckeln. Im Essen war unsere Klaudia eine wahre Meisterin.
Das zu geringe Geburtsgewicht hatte sie in den folgenden Monaten
mehr als wett gemacht. Aber Dominik konnte ihr keinen Wunsch ausschlagen...und
ich konnte das auch nicht.
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Zufrieden gab Klaudia ein Bäuerchen von sich und warf die
leer Flasche ungeschickt von sich weg. Inzwischen kam auch Kinga
aus ihrem Zimmer und hob ihre Schwester auf den Arm. "Ich
nehme sie mit vors Haus, Papa, da kann sie im Sand spielen. Sie
findet es ganz toll, wenn die Ameisen auf ihren Zehen rumkrabbeln.
Du müsstest hören, wie sie dann gluckst". Das wollte
Dominik nicht verpassen. Er schnappte mich an der Hand und zog
mich mit in den Garten und auch Tristan gesellte sich zu uns.
Und während Kinga ihrer Schwester Grimassen schnitt und dabei
von Tristan kräftig unterstütz wurde, setzte ich mich
mit meinem Mann in den Schatten und beobachtete zufrieden meine
kleine Familie. "Bist du glücklich, Brodlowska",
fragte Dominik mich und legte seinen Arm um mich. Ich seufzte
zufrieden und lehnte meinen Kopf auf seine Schulter. "Ja,
Dominik, ich bin glücklich".
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