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Da Kingas verhalten uns und ihrer Schwester gegenüber langsam unhaltbar wurde, bat Dominik seine Mutter um Rat. Hätte er mich vorher gefragt, hätte ich ihn davon abgehalten und so kam es, wie es kommen musste. Glinda stürmte eines Morgens einfach ins Haus und fing an über meine Erziehungsmethoden her zu ziehen. Sinngemäß war ich die schlechteste Mutter überhaupt und die schlechteste Ehefrau obendrein.


"Ich habe sechs Kinder aufgezogen und bei mir ist es nie zu solchen Ausschreitungen gekommen", erklärte sie hochmütig. "Ich habe meinen Kindern gleich gezeigt, wo es lang geht und sie davon abgehalten, mir auf der Nase herum zu tanzen. Aber es war ja klar, dass du mit der Erziehung der Kinder hoffnungslos überfordert sein würdest. Das sieht man ja schon alleine daran, wie du das Haus führst. Ich wäre hast über das Unkraut im Garten gestolpert und durch diese zugestaubten Fenster kann man ja kaum nach draußen sehen. Kein wunder das ein Kind da aggressiv wird".


Ich hätte in die Luft gehen können! Was fiel dieser Frau bloß ein so über mich her zu ziehe? Und das auch noch in meinem Haus! Arrgh!!! Natürlich sagte ich wieder einmal nichts, um den Familienfrieden aufrecht zu erhalten. "Nimm dir Mutters Gerede nicht so zu Herzen, Brodlowska. Du weißt doch, wie sie ist", versuchte Dominik mich zu beruhigen. Ja, ich wusste, wie sie war, deshalb wurde es trotzdem nicht leichter, mit solch einer Schwiegermutter klar zu kommen.


"Nicky, wo ist den mein süßes Enkelein?", fragte sie Dominik in der nächsten Sekunde, als ob nichts passiert wäre. Und auch Dominik schien vergessen zu haben, dass seine Mutter mich gerade noch zur Schnecke gemacht hatte. Denn er lief gleich ins Babyzimmer und präsentierte, stolz wie Oskar, seiner Mutter unsere kleine Tochter. "Sag hallo zur Oma, Prinzessin". Wenigstens schien Klaudia eine gute Menschenkenntnis zu besitzen und ignorierte ihre Oma. Geschah dieser Hexe ganz recht!

 

 


Ich hätte diesen Anblick gerne noch länger genossen, aber aus dem Augenwinkel sah ich einen Schatten durchs Esszimmer flitzen und dann knallte laut eine Tür. Und plötzlich hörte ich, wie Kinga laut rumbrüllte und immer wieder war ein lautes Rumsen zu hören. Ich eilte zu ihrem Zimmer und konnte gerade noch sehen, wie sie auf ihr Puppenhaus einschlug, bevor es komplett in sich zusammen brach.


Ich konnte erst gar nicht glauben, was ich da sah. "Kinga!", schrie ich sie deshalb an. "Was ist in dich gefahren? Du kannst doch nicht einfach dein Puppenhaus zerstören!". Ich konnte es wirklich nicht fassen. Doch anstatt mir zu antworten stemmte Kinga die Hände in ihre Hüften und starte trotzig die Wand an, als ob ich überhaupt nicht anwesen wäre.


So, jetzt hatte ich die Faxen aber dicke. Ich hatte mich bemüht verständnisvoll zu sein, aber jetzt ging Kinga eindeutig zu weit. Verärgert ging ich auf sie zu, packte sie unsanft an der Schulter und drehte sie zu mir herum. "Jetzt hör mal zu, junge Dame! Du wirst dich nicht mehr wie eine Diva aufführen und hier allen deine Launen zur Schau stellen. Papa und ich haben endgültig die Nase voll von diesem Verhalten." Kinga wollte sich wegdrehen, doch ich riss sie erneut zu mir herum. "Du wirst mir jetzt zuhören, haben wir uns verstanden?"


Kinga antwortete nicht. Stattdessen begannen ihre Augen sich mit Tränen zu füllen und ich merkte, dass ich sie fester an der Schulter umklammert hielt, als ich es gewollt hatte. Als ich meinen Griff lockerte entzog sie sich mir sofort, rieb ihre Schulter und begann zu weinen. Plötzlich tat sie mir leid, aber ich konnte ihr dieses Verhalten wirklich nicht durchgehen lassen. "Du wirst dieses Puppenhaus bezahlen, Kinga. Gleich morgen fährst du mit Papa in die Stadt und kaufst ein neues von dem Geld, was Oma und Opa dir zum Geburtstag gegeben haben. Und jetzt wirst du die Unordnung hier beseitigen. Haben wir uns verstanden?". Kinga sah mich zwar immer noch trotzig aus ihren verheulten Augen an, aber sie nickte zustimmend.


Ich blieb so lange bei ihr im Zimmer, bis sie jeden Teil des kaputten Puppenhauses in einen Müllbeutel gepackt hatte. Sie sprach kein Wort mit mir, aber auch ich konnte stur sein. Ich begleitete sie bis zur Mülltonne vor dem Haus, wo sie den Beutel missmutig hineinwarf. Als sie wieder zurück ins Haus ging, warf sie mir einen bösen Blick zu, den ich aber mühelos erwiderte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dies ein langer Kampf werden könnte.


Von da an hatte Kinga beschlossen, überhaupt nicht mehr mit mir zu reden. Ich hätte sie wieder anschreien können, aber irgendwie bezweifelte ich, dass sie dadurch zugänglicher wurde. Immerhin zertrümmerte sie keine Gegenstände mehr. Stattdessen summte sie den ganzen lieben langen Tag vor sich hin, schlenderte im Garten herum und goss die Blumen. Aber auf Dauer konnte das nicht so bleiben, nur wusste ich keinen Rat mehr. Und meine Schwiegermutter konnte auch nur an mir herummäkeln, aber hilfreiche Tipps hatte sie auch nicht parat.

 

 


"Was war denn gestern mit Kinga los?", fragte Tristan. Er hatte heute seinen freien Tag und erledigte gerade den Abwasch vom Frühstück, während ich Klaudia fütterte. Außer uns dreien war niemand im Haus. "Ich seufzte schwer, bevor ich antwortete. „Ich weiß selbst nicht, was sie hat. Sie redet ja nicht mit mir. Nicht einmal mit Dominik. Irgendetwas hat sie, sonst würde sie sich ja nicht so aufmüpfig benehmen". "Ich glaube, sie ist eifersüchtig auf Klaudia", erklärte Tristan. "Bevor sie gestern das Puppenhaus zerstört hat, hat Dominik Klaudia "Prinzessin" genannt. Sonst hat er nur Kinga so betitelt. Ich glaube, sie hat das nicht so gut aufgenommen".


"Ist deine große Schwester eifersüchtig auf dich, Klaudeczka? Ist sie eifersüchtig?". Zur antwort schmatzte Klaudia nur genüsslich vor sich hin. "Du bist so ein süßes kleines Baby. Ganz ruhig und lieb. Warum mag deine Schwester dich bloß nicht? Aber keine Angst, Mami hat dich ganz schrecklich lieb". Die Kleine nuckelte noch immer seelenruhig an der Flasche. "Tristan, kannst du vielleicht mal mit Kinga reden? Vielleicht vertraut sie dir ja etwas an, was sie uns nicht sagen will". Ich sah meinen Mitbewohner mit flehenden Augen an. "Kein Problem, Oxana. Ich helfe dir doch gerne".

 

 


Als Kinga am Nachmittag aus der Schule kam, setzte Tristan sie in meinen roten Pickup und fuhr mit ihr zum Spielzeugladen nach Seda Azul. Sie musste das Puppenhaus von ihrem eigenen Geld nachkaufen. Und ich wusste, dass diese Strafe sie traf, weil sie sich mit dem Geld eigentlich ein neues Computerspiel kaufen wollte, dass jetzt alle spielten. Natürlich reichte ihr angespartes Geld bei weitem nicht, für ein neues Puppenhaus, aber sie musste so viel selber zahlen, wie sie konnte.


Die beiden wurden im Laden auch schnell fündig. In der Auslage stand ein Puppenhaus, was Kingas altem zum verwechseln glich. Kinga war alles andere als erfreut. Bis jetzt hatte sie noch gehofft, dass es in dem Geschäft gar kein Puppenhaus geben würde und sie vielleicht doch noch ihr Spiel bekam. So betrachtete sie erst einmal missmutig das doch vorhanden Puppenhaus.


Und während Kinga kurz darauf zur Toilette verschwand, sah Tristan sich in dem Spielwarengeschäft um. Er entdeckte viel Spielsachen, die er bis dahin noch gar nicht kannte. Die bemalten Backsteine sahen sehr lustig aus. Und was war das für ein komisches Zwirbelwirbel? Er war sich sicher, dass Klaudia gefallen daran finden würde....sobald sie etwas gewachsen war, selbstverständlich. Und bis dahin, konnte er es ja vielleicht selbst benutzen?


Tristan verwandelte sich regelrecht in ein kleines Kind und bestaunte jedes Spielzeug. Und ein Großteil davon landete auch in seiner Einkaufstasche. Am Ende nahm er viel mehr Spielzeug mit, als bloß das neue Puppenhaus für Kinga. Die trauerte derweil noch immer dem Spiel nach, was sie wohl nie besitzen würde. Dass es auch noch in Griffweite vor ihrer Nase stand, machte es ihr nicht einfacher. In dem Moment wusste sie nicht genau, auch wenn sie mehr böse sein sollte, auf sich selbst oder auf ihre Eltern. Doch sie tendierte stark dazu, ihren Eltern die Schuld zuzuschieben, insbesondere mir, ihrer bösen Mutter.

 

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