Aufgabe 19 1/2
1 2 3 4

 


Da bin ich nun, in der großen Stadt. Allerdings nicht in Warschau, sondern in Simtropolis. Ich war schon am Flughafen, als ich plötzlich den Zettel mit der Adresse von Anastasia, den Joanna mir gegeben hat, in meiner Hosentasche wiederfand. Und da habe ich einfach beschlossen, hierher zu fahren, um herauszufinden, wo meine Mutter ist.


Die Suche könnte aber schneller zu Ende sein, als ich mir das gedacht habe. Ich habe zwar das Haus gefunden, in dem Anastasia früher gewohnt hat, und in dem sie hoffentlich immer noch wohnt, allerdings kann ich keine Tür finden.


Doch nach einigem Suchen werde ich schließlich doch fündig. Ich bin einfach in eine kleine Gasse zwischen zwei Häusern gegangen und in einem kleinen Hinterhof gelandet. Und hier befindet sich tatsächlich eine Tür.


Ich klingele einige Male, doch es öffnet niemand. Auf der Klingel steht der Name Anastasia Petrova. Ich hoffe, dass es die richtige Anastasia ist, aber sicher werde ich erst sein, wenn ich sie treffe oder sollte ich sagen: falls ich sie treffe? "Wollen Sie zu mir?", eine Frauenstimme reist mich aus meinen Gedanken und gleich darauf kommt die dazugehörige Person die Treppe herunter.


"Ähm...ich suche eine Anastasia. Sind Sie das vielleicht?", stottere ich als die Frau unten angekommen ist. "Zumindest heiße ich so", antwortet sie mir. "Aber was wollen Sie von mir. Ich glaube nicht, dass Wir Uns kennen." "Nein, oder besser gesagt doch", antworte ich ihr etwas verwirrt. "Ich bin Oxana Brodlowska."


"Tut mir leid, aber der Name sagt mir jetzt nichts", antwortet Anastasia. "Und sie sind sicher, dass Wir Uns kennen?" "Als Sie mich das letzte Mal gesehen haben, war ich noch ein Baby, gerade ein paar Wochen alt. Und Sie haben meine Schwester und mich nach SimCity gebracht." Jetzt wird ihr endlich klar, wer ich bin. "Oh mein Gott, du bist eine von Virginias Töchtern."


Als sie weiß, wer vor ihr steht, führt sie mich sofort in ihre Wohnung. Ich schaffe es gerade mich auf einen Stuhl zu setzen, als sie mir auch schon einen Teller vor die Nase setzt und sich zu mir setzt. Wir unterhalten uns eine Weile, allerdings sage ich Anastasia nichts von den Geschehnissen der letzten Tage. Und dann spreche ich sie auf meine Mutter an.


"Hast du noch Kontakt zu meiner Mutter?" Anastasia schüttelt den Kopf. "Nein, ich schicke ihr zwar hin und wieder eine Karte an den Feiertagen, aber ich habe schon lange keine Antwort mehr bekommen. Ich weiß nicht einmal, ob die Adresse noch stimmt. Wir haben uns 18 Jahre lang nicht gesehen, das übersteht selbst die engste Freundschaft kaum." Ihre Worte lassen meine Hoffnungen Mom zu finden immer weiter schrumpfen. Wenn selbst Anastasia nicht genau weiß, wo sie ist, wer sonst soll es wissen. Ich hätte vielleicht doch lieber nach Warschau fliegen sollen. "Weist du denn, wo sie sein könnte?", frage ich schließlich. "Ich weiß, wohin sie gegangen ist", antwortet Anastasia, "Sie ist zurück nach Simbirien, nach Novosimbirsk, gegangen, aber ob sie noch immer dort ist?"


"Komm mit!" Anastasia steht auf, ohne das Essen zu beenden und ich folge ihr in das Wohnzimmer. Sie geht zum Bücherregal und holt ein dickes Fotoalbum heraus und reicht es mir. Ich schlage es auf und gleich auf der ersten Seite sehe ich zwei Mädchen in meinem Alter, die Arm in Arm posieren und in die Kamera lächeln. Eine ist Anastasia und die andere ist Mom, das erkenne ich sofort, obwohl ich nur ein einziges Foto von ihr kenne. "Das Foto wurde gemacht, kurz bevor Virginia und ich in die SimNation gekommen sind", erklärt Anastasia. "Das war unser letzter Sommer in Novosimbirsk."


Ich Blätter weiter und sehe immer neue Bilder meiner Mutter und plötzlich kommt es mir vor, als ob ich sie ein Leben lang gekannt hätte. Und auf vielen Bildern sieht sie Joanna und mir zum Verwechseln ähnlich. "Wir sind in dieses Land gekommen um hier unser Glück zu finden", erzählt Anastasia weiter. "Wir hatten so viele Träume, als wir ankamen, mussten aber schnell feststellen, dass die meisten Träume Träume bleiben würden. Virginia ist hier nie wirklich glücklich geworden. Ich war nicht überrascht, als sie wieder zurück wollte." Ich blättere weiter im Album und sehe plötzlich ein Foto von Paps, wie er mit einem Ohr an Moms dicken Bauch lauscht und, ohne dass ich es will, blitzen Tränen in meinen Augenwinkeln auf.


Ich schließe das Album und lege es an die Seite. "Warum, hat Mom das gemacht?", frage ich mit leicht zittriger Stimme. "Warum hat sie uns ausgetragen und...und warum hat sie uns dann verlassen? Warum?" Anastasia sieht mich mitfühlend an und zuckt dann mit den Schultern. "Sie war unglücklich hier und wollte zurück nach Hause. Und dafür brauchte sie Geld. Sie war immer ein wenig durchgedreht. Die Sache mit der Leihmutterschaft ist typisch für sie. Es war nicht leicht für sie, sich von euch zu trennen. Aber sie hatte mit Dariusz und Arkadiusz eine Vereinbarung und Virginia hält zu ihrem Wort, darauf konnte ich mich immer verlassen."


"Hat sie je nach uns gefragt?" Ich kann nicht mehr sitzenbleiben. "Wollte sie wissen, wie es uns geht, Fotos von uns haben?" Die einzige Antwort, die ich hören möchte ist 'Ja', aber Anastasia sieht mich eher traurig an. "Ich hab noch oft mit ihr telefoniert, aber sie hat euch nie erwähnt. Es tut mir leid, Oxana." Der Gedanke, dass nicht nur Paps mich hat ohne Abschied gehen lassen, sondern auch Mom sich nie für mich interessiert hat, versetzt mir einen Stich mitten ins Herz. "Vielleicht durfte sie nicht nach uns fragen!?", flüster ich schließlich nach einigen Sekunden der Stille. Und plötzlich wird mir alles klar. "Sie hatte sicher eine Vereinbarung mit Paps und Dad und hat deshalb nie gefragt. Oder sie hat versucht uns zu vergessen und hat deshalb nicht gefragt, weil es sonst nur noch schwerer für sie gewesen wäre. Ich bin mir sicher, sie hat oft an uns gedacht...und tut es immer noch." Ich bin so in Euphorie verfallen, dass ich Anastasias mitleidvolles Lächeln nicht im geringsten mitbekomme.


Anastasia hat mir erlaubt für die nächsten Tage bei ihr zu bleiben, sodass ich eine Gelegenheit habe, mehr über Mom zu erfahren. Und ich lausche gespannt jedem Wort, das über Anastasias Lippen kommt. Wir spazieren oft stundenlang durch Simtropolis und an fast jeder Ecke der Stadt hat Anastasia eine Geschichte, die sie mir über Mom erzählen kann.


Und in dieser Zeit mit Anastasia wird mir klar, dass ich Mom tatsächlich finden will, nein, finden muss! Ich will sie kennenlernen und sie will mich kennenlernen, da bin ich mir sicher. Anastasia hat zwar angedeutet, dass es vielleicht keine so gute Idee ist Mom in Simbirien zu suchen, aber sie hat mir dann doch ihre letzte bekannte Adresse in Novosimbirsk gegeben. "Viel Glück bei deiner Suche Oxana und Grüß Virginia von mir, wenn du sie findest", Anastasia nimmt mich zum Abschied in den Arm. "Und warte nicht wieder 18 Jahre, bis wir zwei uns sehen." Als sie die Umarmung löst, sieht sie mir noch einmal ernst in die Augen. "Erwarte bitte nicht zu viel von der Reise." Ich drücke noch einmal ihre Hand und steige dann in das Taxi, das mich zum Flughafen bringen soll. Nicht zu viel erwarten!? Es ist nicht zu viel erwartet, dass eine Mutter sich freut, wenn sie ihr Kind nach 18 Jahren wiedersieht.

 

1 2 3 4

kor. 24.01.2011