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Nachdem die Gäste sich verabschiedet haben, geht Darek hoch
auf den Balkon. Ich folge ihm und eine Zeitlang stehen wir gedankenverloren
am Geländer und beobachten Orion, der sich zu später
Stunde noch im Pool austobt. Nachdem ich mich versichert habe,
dass nur Darek mich hören kann, erzähle ich ihm, was
mir auf dem Herzen liegt. "Ich mag diesen Tobias nicht. Ich
mochte ihn noch nie und ich bin überhaupt nicht glücklich,
dass dieser Typ Joanna heiraten will. Meinem Vater geht es da
genauso, das habe ich genau gespürt. Und auch du warst nicht
hellauf begeistert, Darek, sonst hättest du nicht so lange
gezögert, den beiden zu gratulieren."
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Darek nickt langsam mit dem Kopf. "Du hast Recht. Er hat
etwas an sich, dass mir Sorgen bereitet. Aber wir werden nichts
daran ändern können, was sie für ihn fühlt.
Joanna ist reif genug um ihre Entscheidungen selbst zu treffen.
Sie weiß, was sie tut. Und wenn wir uns bei der Hochzeit
quer stellen, dann wird sie sich von uns abwenden, nicht von ihm."
Sein Augen werden plötzlich ganz traurig und leise fügt
er hinzu: "Ich will nicht noch eine Tochter verlieren."
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Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll. Stattdessen
küsse ich ihn liebevoll und mit jedem Atemzug verfliegt seine
Traurigkeit ein wenig mehr. "Lass uns ins Schlafzimmer verschwinden",
flüstere ich ihm lüstern ins Ohr. "Bei dem Trubel
um Joannas Hochzeit sollten wir unsere eigenen ehelichen Pflichten
nicht vergessen." Sein lustvoller Blick ist die einzige Antwort
die ich brauche und nur wenige Augenblicke später schmiegen
sich unsere nackten Körper aneinander.
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Solch schöne Nächte sollen aber eine Seltenheit für
uns werden. Dareks Schmerzen werden von Tag zu Tag schlimmer und
als die Chemotherapie beginnt, sieht man ihm die Krankheit erstmals
deutlich an.
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Er muss zwar nicht im Krankenhaus bleiben, aber manchmal wünschte
ich, er müsste es doch. Ich fühle mich so hilflos, wenn
er mal wieder im Badezimmer ist und sich die Seele aus dem Leib
kotzt. In solch einem Moment weiß ich einfach nicht, wie
ich ihm helfen kann.
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Mitten in der Nacht werde ich von einem Wimmern geweckt. Als ich
verschlafen meine Augen öffne, beginne ich langsam zu begreifen,
dass das Geräusch aus dem Bad kommt. Beim Aufrichten berühre
ich mit meiner Hand Dareks Bettseite und auf einmal wird mir bewusst,
was eigentlich los ist. Sein ganzes Kissen ist voller Haare.
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Als ich die Tür zum Bad öffne, kann ich gerade noch
sehen, wie er sich mit entsetztem Blick in das Haar greift. In
seiner Hand bleibt ein Büschel seiner braunen Haare zurück.
"Oh Gott, oh mein Gott", schluchzt er und reißt
sich dabei immer mehr Haare aus.
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Ich nehme ihn behutsam in meinen Arm. "Es ist in Ordnung,
Darek, es ist in Ordnung", versuche ich ihn zu beruhigen
und Darek vergräbt weinend sein Gesicht in meiner Schulter.
Ich versuche ihm Trost zu spenden, so gut ich kann, doch eigentlich
bräuchte ich jetzt selbst jemanden, der mich tröstet.
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Als Joanna von einer mehrtägigen Flugreise wiederkommt und
das Wohnzimmer betritt, weiten sich geschockt ihre Augen. Darek
sitzt dort mit vollkommen kahlem Kopf und blickt sie traurig lächelnd
an. Sie versucht etwas zu sagen, doch sie bringt kein Wort über
die Lippen.
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Stattdessen füllen sich ihre Augen mit Tränen und sie
läuft beschämt die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf. Darek
schluckt schwer, liest dann aber in dem Buch weiter, als ob nichts
passiert wäre.
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Diesmal ist es Orion, der sich verstohlen in Joannas Zimmer schleicht,
um seine große Schwester zu trösten. Er hat längst
mitbekommen, dass mit seinem Papa etwas nicht stimmt. Er ist sich
nur noch nicht über das Ausmaß der Krankheit bewusst.
Er findet seine verheulte Schwester zusammengekauert in einer
Ecke des Zimmers vor.
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Er setzt sich ihr gegenüber auf den Boden und überreicht
ihr seinen Teddy. "Mr. Browny will, dass du ihm eine Geschichte
erzählst", versucht er sie aufzuheitern. "Und ich
kann sie mir nebenbei ja auch anhören." Damit entlockt
er Joanna wieder ein Lächeln und sie beginnt tatsächlich
zu erzählen. In diesem Moment wird ihr bewusst, wie viel
schwerer es Orion treffen wird, wenn sein Vater...sein Vater nicht
mehr bei ihm ist. Und dann wird er jemanden brauchen: Seine Mutter!
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Es ist ein nettes kleines Haus, das in der Kastanienallee in einem
Randbezirk von Santa Regina steht. Nicht ganz das, was sie erwartet
hat. Joanna betrachtet es eingehend, bevor sie den Garten betritt.
Die zwei spielenden Mädchen lassen sich von ihr nicht stören.
Joanna will sie schon ansprechen, als eine schöne, blonde
Frau hinter dem Haus hervorkommt. Joanna erkennt sie sofort. Sie
hat sich in den letzten sechs Jahren kaum verändert.
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Langsam geht Joanna auf sie zu. "Hallo, Lucy", begrüßt
sie sie. An ihrem verwirrten Blick kann sie erkennen, das Lucy
sie nicht wiedererkennt. "Ich bin es, Joanna". Plötzlich
weiten sich Lucys Augen erschrocken. "Was...was machst du
denn hier?", stammelt sie entsetzt. "Wie hast du mich
hier gefunden?"
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"Das war gar nicht so einfach", beginnt Joanna zu erzählen,
die nicht gemerkt hat, dass hinter Lucys Reaktion mehr steckt,
als bloße Überraschung. "Ein Freund hat mir geholfen.
Es war schlau von dir, nur die Schreibweise deines Namens ein
wenig zu verändern." Doch Lucy hört ihr gar nicht
richtig zu. "Kinder, geht sofort ins Haus. Beeilt euch",
ruft sie den beiden hektisch zu und die beiden gehorchen sogar,
wenn auch widerwillig.
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"Lucy, was ist los mit dir?", fragt Joanna verwirrt.
In Lucy steigt die Panik auf. "Du hast ja gar keine Ahnung.
Oh Gott, wenn sie erfährt, dass du hier bist, wer weiß,
was sie dann macht." Sie bekommt sichtlich Schwierigkeiten
mit dem Atmen. "Wovon redest du, Lucy? Wer ist 'sie'?"
Doch Lucy antwortet ihr nicht.
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"Du musst sofort von hier verschwinden. Du hättest nie
hier auftauchen dürfen. Geh jetzt. Bitte! Vielleicht hat
sie ja noch nichts mitgekriegt." Lucy blickt Joanna flehend
an. Fast will sie nachgeben, doch dann erinnert sie sich, warum
sie eigentlich hier ist.
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"Lucy, du hast noch einen Sohn. Orion braucht dich. Stiehl
dich nicht aus seinem Leben." Joanna kann den Schmerz in
Lucys Augen deutlich sehen. Sie sieht, wie Lucy einen inneren
Kampf ausfechtet. "Ich kann nicht", schüttelt sie
dann endgültig mit dem Kopf. "Du musst jetzt gehen."
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