Auch wenn es viele Leute gibt, die so denken: meine Großmutter
war nicht verrückt. Sie hatte eine Vision, an die sie geglaubte
und für die sie kämpfte. Und darum sollten wir sie
alle beneiden. Nach ihrem Tod fand ich ihre Aufzeichnungen und
das ermöglichte mir einen Einblick tief in ihre Seele.
Für sie war der Sozialismus eine Art höheres Lebensziel.
Sie wollte diese Ziel verwirklichen mit allen Mitteln und genau
da lag ihr Fehler. Auf ihrem Weg hat sie die Menschlichkeit
vergessen und eigentlich war es genau dass, wofür sie kämpfte.
Dad hat nie über seine Mutter gesprochen. Ich könnte
ihn alles über meinen Großvater fragen und Dad hat
mir so viele Geschichten über ihn und abuelo Carlos auf
Kuba erzählt, aber über seine Mutter hat er sich ausgeschwiegen.
Ich hab ihn gelegentlich an ihrem Grab beobachtet. Er ist oft
dort hingegangen, hat den Grabstein mit der einfachen Aufschrift
Justyna schweigend angestarrt und ist wieder gegangen, ohne
Kerzen aufzustellen, ohne Blumen niederzulegen. Dad ist insgesamt
sehr schweigsam geworden. Kurz nach Paps Beerdigung hat er wieder
mit dem Trinken angefangen und hat sich in die Arbeit gestürzt.
Die Arbeit, die er eigentlich so sehr verachtete. Aber es war
das einzige, was ihm geblieben war. Er hat sich noch auf zahlreiche
Romanzen eingelassen, doch er ist mit niemandem mehr wirklich
glücklich geworden. Er ist immer einsam geblieben. Ich
glaube, er wollte sterben, als er vor drei Jahren, genau vier
Jahre nach Paps Tod, mit der Yacht hinaus segelte und dabei
in einen Sturm geriet. Wir haben später nur noch die Trümmer
des Bootes gefunden.
Nach dem Tod meiner Großmutter, hat Dad ihren Platz eingenommen
und nach seinem Tod, übernahm ich wiederum seinen. Er hat
nie an die Visionen seiner Mutter geglaubt. Er hat die Organisation
nur aufrechterhalten, weil er sonst nichts mehr hatte. Doch
ich kenne den Traum meiner Großmutter und inzwischen ist
es auch mein Traum geworden. Ich werde nicht ihre Fehler wiederholen
und mit dem Leben meiner Mitmenschen spielen. Ihr Weg war richtig,
nur die Methoden waren die falschen. Ich führe die Organisation
mit so viel Entgegenkommen, wie mir möglich ist, aber mit
all der Härte, die notwendig ist. Würde ich anders
handeln, hätte ich keine Chance zu bestehen.
Tobias unterstützt mich dabei. Ich liebe ihn. Er ist vielleicht
nicht der einzige Mann in meinem Leben, aber er ist doch ein
ganz besonderer. Immerhin ist er der Vater meiner beiden Kinder.
Orion ist jetzt schon fast fünfzehn. Er wird Dad mit jedem
Tag ähnlicher. Und er hat schließlich doch die Mutter
erhalten, die er sich immer gewünscht hatte. Ich ließ
Lucy wissen, dass „Sie“ nun keine Bedrohung mehr
war. Es hat eine Weile gedauert, aber am Ende ist sie doch nach
SimCity zurückgekehrt, zurück zu ihrem Sohn. Und nach
Dads Tod war sie es, die sich um ihn gekümmert hat. Ich
werde ihr für immer dankbar sein, dass sie mir diese schwere
Aufgabe abgenommen hat.
Doch, die Simlane 10 war ein guter Ort um aufzuwachsen. Es
war nicht immer leicht und Freud und Leid lagen oftmals dicht
beieinander, aber ich werde meine Kindheit immer als glückliche
Zeit in Erinnerung behalten. Und die Simlane 10 wird auch meinen
Kindern ein guter Ort zum Aufwachsen sein. Daran habe ich keine
Zweifel.
Donna Joanna Brodlowska
Erstveröffentlichung am 05.01.2006